Dienstag, 20. Dezember 2016

“Doppelgänger” gesucht!


Der oder die Lagerältesten in einem Konzentrationslager tragen eine besondere Verantwortung. Ihre Position ist nicht autonom. Der Lagerälteste hat für Ordnung und Sauberkeit und ähnlichen Dingen im Lager zu sorgen. Wenn der SS etwas nicht gefällt, dann kann auch der Lagerälteste dafür zur Rechenschaft gezogen werden. Es liegt also in seinem Interesse, dass im Schutzhaftlager möglichst alles in Ordnung sein sollte.

Der Hamburger Kommunist Harry Naujoks kam bereits erstmals 1937 in das KL Oranienburg. 1939 wurde er zum Lagerältesten bestimmt. Der langjährige 1. Lagerschreiber im KL Neuengamme - Herbert Schemmel - hatte sein Leben Naujoks zu verdanken, weil es ihm mit geschicktem handeln gelang, dass Schemmel, der zu dieser Zeit zwischen Leben und Tod schwebte, von Oranienburg nach Neuengamme auf Transport kam, wo er dann von den Mithäftlingen wieder aufgepäppelt wurde.

Das Konzentrationslager Neuengamme wird häufig als das größte Lager in Nordwestdeutschland bezeichnet. Das KL Oranienburg war jedoch um einiges größer, und aus diesem Grund gab es dort nicht nur einen Lagerältesten, sondern gleich drei. Als Naujoks Lagerältester wurde, war es der politischen Selbstverwaltung der Häftlinge möglich gewesen, zwei weitere Häftlinge, die sie für geeignet hielten, der SS als Lagerälteste vorzuschlagen, die dann auch akzeptiert wurden. Einer von ihnen war der BVer Jakob Groß - “Köbes” genannt.

In Neuengamme war ab Januar 1941 Jakob Fetz der Lagerälteste - auch “Köbes” genannt.

Nanünanu, was war denn da los?

Über Jakob Fetz gibt es eigentlich ziemlich gesichterte Erkenntnisse, dass er von 1941-1944 im KL Neuengamme der Lagerälteste gewesen ist. Seine Position dort kann nicht gerade als rühmlich bezeichnet werden, da er sich zu sehr auf die Seite der Runenträger gestellt haben soll. Das dürfte auch der Grund gewesen sein, weshalb er die Stellung als Lagerältester so lange halten konnte. Gegen Ende 1944 wurde er jedoch in das Bewährungsbattalion- bzw. Brigade “Dirlewanger” versetzt. Unklar hierbei ist, ob er in diese Einheit befohlen oder strafversetzt wurde. Da er in Neuengamme die höchste hierarchische Funktion unter den Häftlingen hatte, erscheint eine Rekrutierung eher unwahrscheinlich. Für eine Strafversetzung müsste dann allerdings irgendetwas vorgefallen sein, dass er seiner Stellung als Lagerältester enthoben wurde und deshalb eine Chance der “Bewährung” erhielt.

Aus: Todesurteile sowjetischer Militärtribunale gegen Deutsche

Die Bezeichnung Lagerältester hat übrigens nichts mit dem Alter des Häftlings zu tun, sondern bezieht sich i.d.R. auf die Haftzeit des Gefangenen, also seine Lagererfahrung.

Fetz war, bevor er nach Neuengamme kam, zunächst im KL Esterwegen, und dann zweimal für eine kurze Zeit im KL Oranienburg - 1937 und 1939; seine Stellung dort ist leider nicht sehr deutlich überliefert. Wahrscheinlich war er Blockführer.

Wie soll man es also verstehen, dass es in beiden Lagern einen Lagerältesten mit dem Vornamen Jakob gegeben hat, und beide den Spitznamen “Köbes” trugen? Dass Naujoks sich vielleicht im Namen geirrt hat, erscheint nicht unbedingt plausibel, weil die Lagerältesten täglich und über einen längeren Zeitraum miteinander zu tun hatten.

Der Oranienburger “Köbes” soll nach Naujoks Angaben in seinem Buch “Mein Leben im KZ Sachsenhausen 1939-1942” (1987) im Februar 1942 an Typhus gestorben sein. Anfang Oktober des gleichen Jahres wurde eine ganze Gruppe von Häftlingen, darunter auch Harry Naujoks, in das KL Flossenbürg gebracht. Nach Ansicht der SS hatten diese Gefangenen zu viel Einfluß im Lager und waren daher eine Gefahr für den Kommandanten und seine Autorität.

Die Briten hatten ein Interesse ein Jakob Fetz, der sich nach Kriegsende in der SBZ befand. Und es gab auch Verhandlungen darüber mit der Sowjetunion. Ausgeliefert wurde Fetz dennoch nicht. Die Sowjets machten ihm selbst den Prozess und verurteilten ihn zum Tode. Ein äußerst seltenes Vorkommnis, dass ein ehemaliger KL-Funktionshäftling ein Opfer seiner eigenen Ignoranz wurde.

Zu weiteren Erkenntnissen über “Köbes” wäre ich sehr dankbar :)

Donnerstag, 10. November 2016

Die Banalität des Seriösen - 4. Kapitel





 Für die Mitarbeiter der Gedenkstätte Neuengamme und ebenso für die Ehrenamtlichen (sofern sie Geländeführungen machen), gibt es didaktische Materialien, denn das Personal wird in Neuengamme nicht geschult. Jeder muss sich sein Wissen selbst erarbeiten. Es ist einleuchtend, dass dadurch massenweise falsche Informationen vermittelt werden, weil es sich bei den „Führern“ nicht um Historiker handelt und auch nicht um Pädagogen, obwohl einige sich selbst so bezeichnen.

Nach der Umgestaltung der Gedenkstätte Neuengamme 2005, kam jemand auf die glorreiche Idee eine Arbeitsmappe zu erstellen, die, wenn sie professionell erarbeitet worden wäre, sicherlich hilfreich hätte sein können. Diese veraltete Arbeitsmappe wird auch heute noch verwendet; inklusive aller, gelinde ausgedrückt, Unstimmigkeiten. Eine Überarbeitung hat bis heute nicht stattgefunden. Es wird also mit einem „antiquierten“ Wissensstand gearbeitet, und mit Verbreitung dieser Arbeitsmappe (z.B. für die Ehrenamtlichen), wird den Gedenkstättenbesuchern treuloses Wissen vermittelt!

Die Mappe beinhaltet auch zahlreiche Abbildungen verschiedener Art; Fotos, Zeichnungen, zeitgenössische Dokumente etc. Die thematischen Texte stammen von verschiedenen Autoren, die als „Experten“ bezeichnet werden. Des weiteren gibt es Hilfestellungen, in Form von Fragenstellungen, die sich durch Führungen mit Schulklassen ergeben haben (mit Stand bis 2005).

Wenn ein derartiges Hilfsmittel für die „Führer“ erstellt wird, dann muss es inhaltlich fehlerfrei sein. Und es darf auch keine Suggestionen oder Meinungen enthalten. Es sollte so gestaltet sein, dass Fragen aufgeworfen werden, die dann mit den Besuchern erörtert werden können. Das Problem ist jedoch, dass diese Mappe meistens gar nicht bei den Führungen mitgeführt wird. Es wird also versucht aus dem „Geist“ heraus Wissen zu vermitteln. Dafür bräuchte aber jeder „Führer“ ein fotografisches Gedächtnis. Das ist ein Grund, warum viel Blödsinn verbreitet wird.

Und diese Arbeitsmappe ist eben nicht frei von Fehlern. Darum soll es nun gehen.

Auffällig ist, dass die Texte teilweise sehr pleonastisch sind. So wird ein Zitat von dem SS-Arzt Alfred Trzebinski gleich dreimal wiederholt. Und auch andere Zitate oder Aussagen wiederholen sich häufig. Das zeugt von Desinteresse an der Thematik und einer gewissen Gleichgültigkeit diesem Arbeitsmaterial mehr Niveau und Nachdruck zu verleihen, schließlich sollen die Führungen ja nicht trostlos gestaltet werden, sondern unterhaltsam.

Natürlich werde ich hier nicht auf sämtlichen Murks in dieser Arbeitsmappe eingehen. Aber einige Beispiele müssen  vorgestellt werden, um zu verdeutlichen, wie unsensibel selbst Gedenkstätten-„Pädagogen“ arbeiten.

Unter dem Kapitel „Klinkerwerk - Rampe“ geht es dann auch gleich mit fehlendem Sachverstand los. Dort heißt es: „Im Kopfbau hinter der Rampe befanden sich Vorrichtungen zum Schreddern und Tauchbecken zum Wässern des über die Rampe ins Klinkerwerk gezogenen Tons.“
Das was hier als Tauchbecken bezeichnet wird, ist der sogenannte „Sumpf“. Er diente als Ton-Reservoir für die Klinkerproduktion. Wasser hat sich darin nie befunden. Die notwendige Befeuchtung des Tons wurde mit mehreren Wasserpumpen erreicht, die sich zwischen dem Sumpf und den Kollern befanden.

Unter dem Kapitel „Krankenrevier 4A“, wo die zwanzig jüdischen Kinder aus Auschwitz für Tuberkel-Experimente missbraucht wurden, wird unter der Überschrift „Täteraussagen (Britisches Militärtribunal Curiohaus)“ die oben bereits erwähnte Aussage von Trzebinski zitiert, mit dem Verweis auf eine schriftliche Aussage vom 24.03.1946. Trzebinski wurde aber erst ab dem 23. April 1946 vom Gericht befragt. Auch eine schriftliche Erklärung von Trzebinski gibt es nicht, da er als einziger Angeklagter eine schriftliche Aussage (Eides Statt) verweigerte. Erst nach seinem Schuldspruch holte er diese Aussage nach. Und selbst darin steht nicht ein Wort dieses vermeintlichen Zitates. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es dieses Dokument überhaupt gibt. Weder in der englischsprachigen noch der deutschen Mitschrift des Verfahrens gibt es diesen Wortlaut: „Ich kann mir keinen Vorwurf machen, daß ich den Kindern vor ihrer Hinrichtung eine barmherzige Morphiumspritze gemacht habe. Diese war im Gegenteil eine humane Tat, der ich mich nicht zu schämen brauche.“ Es handelt sich hierbei offenbar um eine willkürliche Darstellung, die so nicht protokolliert wurde.

Noch einmal gleiches Kapitel. Wieder Trzebinski. Es geht um die Ermordung der Kinder in der Schule am Bullenhuser Damm. Trzebinski erzählt am 24. April 1946 dem Gericht wovon er selbst Augenzeuge war. Der „Experte“ in der Mappe behauptet nun, dass der Arzt von der Ermordung des Jungen Georges Kohn erzählt. Trzebinski jedoch erwähnt im ganzen Prozess nicht einen Namen von den Kindern (die ihm wahrscheinlich auch gar nicht bekannt gewesen sind).

Unter dem Kapitel „Krematorium“ wird es dann richtig peinlich. Dort kann man nachlesen, „Die ersten Einäscherungen im KZ Neuengamme fanden im Herbst 1942 in einem provisorischen, mobilen Krematorium, das sich neben dem Schießstand befand, statt. Zuvor waren die Toten zur Einäscherung auf den Friedhof Ohlsdorf gebracht worden. Die Transporte führte ein Bergedorfer Beerdigungsunternehmer durch. Der Bau des massiven Krematoriums begann im Winter 1944.“

Der „Experte“ dieses Kapitels kann nicht als „Leuchte des Nordens“ bezeichnet werden. Vielleicht weiß er wie man einen Grundriss liest, aber von den Krematorien in Neuengamme hat er keine Ahnung. In der Tat soll es vorübergehend mobile Verbrennungsöfen gegeben haben. Der Bau des gemauerten Krematoriums begann bereits im Herbst 1941. Etwa Mitte 1942 war es fertiggestellt. Die absurde Behauptung, die Errichtung des Krematoriums ausschließlich auf das Jahr 1944 zu datieren, zeugt nicht nur von Unkenntnis, sondern widerspricht auch den historischen Ereignissen. Fritz Bringmann hat das Erlebnis der Vergasung von sowjetischen Kriegsgefangenen im Herbst 1942 zu seinem Thema gemacht, und mehrfach darüber ausführlich berichtet. Er sagt, die Toten wären im Krematorium verbrannt worden.

Wenn solche Lügen wirklich den Besuchern erzählt werden, dann sollte man die Gedenkstätte Neuengamme besser schließen, und die Verantwortlichen einer Psycho-Therapie unterziehen.

Zeitzeugenberichte sind immer kritisch zu beäugeln. Die Dramaturgie hat meistens mit der Realität wenig gemeinsam. So auch in dieser Arbeitsmappe. Das hängt damit zusammen, dass wenn ein ehemaliger KL-Häftling auch in anderen Lagern gewesen ist, er aus der Erinnerung heraus nicht mehr unterscheiden kann, welches Ereignis in welchem Lager stattgefunden hat und welche Personen daran beteiligt waren. Denn meistens wussten die Häftlinge die Namen ihrer Peiniger nicht. Dort wird ein ehemaliger osteuropäischer Häftling zitiert, der „Dub“ genannt wurde. Er erzählt: „Meine Kameraden luden den Anhänger aus, brachten Leichen in das Gebäude hinein … Dort war es warm. Im Haus gab es drei Öfen, vor jedem Ofen stand ein kleiner Transporter. Ein sehr kräftiger Mann von unbekannter Nationalität nahm oft von der Wand einen Haken, mit dem er die Leichen anhakte und in den Transporter legte, dann drückte er einen Knopf und die Leiche wurde in den Ofen geschoben.“

Dieser Häftling hat das Krematorium offensichtlich nie von innen gesehen. Ob zwei oder drei Öfen, gemessen an der Gefühlsintensität wenn Kameraden verbrannt werden, kann es dem Gedächtnis nicht entrinnen, dass es nur zwei Öfen in Neuengamme gegeben hat. Ebenso wenig wie einen Druckknopf, der dann etwas vollautomatisches in Gang gesetzt hätte. Der „Experte“ scheint zu naiv zu sein, um diese Unwahrheit überhaupt zu erkennen.

Noch einmal das Krematorium. Der ehemalige italienische Häftling Rinaldo Rinaldi, wird dazu ebenfalls zitiert (Übersetzung). „Wir wussten viele Dinge über die Krematoriumsöfen, da es Häftlinge aus unserem Schlafsaal waren, welche die Aufgabe hatten, die Leichen zu verbrennen. … Der Körper, den es zu verbrennen galt, wurde auf einem Handkarren liegend, mit dem Kopf nach vorne an die Klappe angenähert; dann wurde er mit einer Eisenschaufel, die mit einer Metallplatte in T-Form endete, in den Ofen geschoben. … In diesem Augenblick ging ein Leben mehr in Rauch über, aber für diejenigen, der am Ofen arbeitete, war es nur ein Körper mehr. Nach einigen Minuten öffnete der Menschenbäcker die Klappe und kehrte den Staub in einen Sack. Das war es, was von einem Leben über blieb: eine handvoll anonymer Asche.“

Allgemein bekannt wird es wahrscheinlich nicht sein, aber die Verbrennung einer Leiche dauert mindestens zwei Stunden.

Unter dem Kapitel „Kriegsgefangenen-Arbeitslager“ wird tatsächlich immer noch (2005; bis heute hat sich daran nichts verändert) der Unsinn erzählt, dass die sowjetischen Kriegsgefangenen im Oktober 1941 aus dem Stalag XD nach Neuengamme gekommen wären. Und in der Mappe fehlt natürlich ebenso der Hinweis auf den Russischen Ehrenfriedhof in Bergedorf.

In den Kapiteln zur Lager-SS zeigt sich mehrfach die fachliche Unkenntnis der selbsternannten „Experten“. Es werden Dienstränge genannt, die noch erst erfunden werden müssten. Oder was soll ein „Untersturmbannführer“ gewesen sein?

Bei Zeitzeugenberichten kann man etwas gnädiger sein, wenn SS-Leuten Dienstränge zuerkannt werden, die Fiktion sind. Anton Thumann wird zum Hauptsturmführer ernannt oder gar zum „Oberst“ erhoben. Wilhelm Dreimann zum Oberscharführer befördert.

Unter dem Kapitel „Hauptwache und Zaunrekonstruktion“ wird der Realitätsverlust der „Experten“ nochmals deutlich. Es heißt dort folgendermaßen: „Zwischen Winter 1942 und Frühjahr 1943 Errichtung der SS-Hauptwache. Diese bildete nach Fertigstellung zusammen mit zwei Fahnenmasten und einer ins SS-Lager führenden Pappelallee einen ansatzweise repräsentativen Eingang in das SS-Lager. Ab 1943 wurde der Zaun von hier aus mit Strom gespeist. Die Pappelallee wurde wahrscheinlich bereits 1940 angelegt und markierte die Zufahrt zum SS-Lager.

Weder im Lager noch außerhalb gab es irgendwelche Bäume; keine Pappeln weit und breit. Nur die Trauerweide an der Zufahrt zum Industriehof gab und gibt es heute noch.

Weiterhin heißt es „Die Hauptwache diente als Eingang ins SS-Lager und als Wachturm, enthielt Diensträume der Wachmannschaften, wahrscheinlich eine Waffenkammer sowie Arrestzellen für Wachleute.“ Diese Rhetorik ist erbärmlich.

Das ist eine ziemlich unpräzise Beschreibung. „Diente als Eingang“. Es gab nur diesen einen offiziellen Zugang zum SS-Lager. „wahrscheinlich eine Waffenkammer“. In militärischen Einrichtungen gab und gibt es niemals eine Waffenkammer im Wachlokal. Allenfalls einen Waffenschrank für die Pistolen der Wachhabenden und vor allem für die Munition. Die Waffen des Wachpersonals werden zum Dienst mitgebracht. „Arrestzellen für Wachleute“. In der Hauptwache gab es lediglich eine Arrestzelle, mit praktisch kaum Tageslicht. „Die Hauptwache diente … als Wachturm“. Wache ist Wache; und Wachturm ist Wachturm. Als die geziegelte Wache errichtet wurde gab es keinen Wachturm; keine Arrestzelle; beides wurde erst später dem Gebäude zugefügt.

Dann wird aus einem Brief von Max Pauly an Richard Hildebrandt zitiert, vom 30.12.1944. Pauly wird dort als Obersturmbannführer ausgewiesen. Hildebrandt (HSSPF Weichsel in Danzig; Disziplinarvorgesetzter von Pauly als dieser Kommandant des zivilen Internierungslagers in Stuffhof gewesen ist) und Pauly waren befreundet. 1944 war Pauly immer noch Sturmbannführer.

Unter dem Kapitel „Springbrunnen  und Ziermauer“ weiß der „Experte“ nicht einmal wo Westen ist. Der ganze Absatz zeugt von Unverständnis in der Sache, und ist weit entfernt von der Realität. „1940 wurde das Klinkermäuerchen an Nord- und Ostseite des SS-Lagers errichtet, um es optisch repräsentativer zu gestalten. Zwischen den Klinkerpfeilern wurden weiß gestrichene Holzlatten angebracht, an der Westseite des SS-Lagers ein kleiner Ziergarten mit Springbrunnen eingerichtet, der der Erholung der SS-Leute dienen sollte. Zusätzlich wurde ein Heilkräutergarten angepflanzt, der von Häftlingen gepflegt werden musste.“

Da es nur schwarz-weiß-Fotos gibt, ist die Behauptung „weiß gestrichene Holzlatten“ reine Fantasie. „Erholung der SS-Leute dienen sollte“ oder „zur Erholung der SS-Wachleute“. Dieser Ziergarten stand ausschließlich den SS-Offizieren zu; keinesfalls irgendwelchen Wachleuten. Auf den Gipfel getrieben wird das Ganze dann noch mit „Abstumpfung oder Brutalisierung der SS-Wachmannschaften durch den täglichen Umgang mit Leid. Aus diesem Grund war ihnen eine kurze Erholung im Ziergarten möglich, obwohl dieser sich in Sichtweite zum Schutzhaftlager befand.“ (Unterstreichung von mir)

Unter dem Kapitel „Trafohäuschen und Fenstergitter“ wird etwas thematisiert was nie richtig geklärt wurde. Neben den beiden Zapfsäulen befand sich ein kleines flaches Gebäude (heute immer noch vorhanden). An der nördlichen und östlichen Seite des Gebäudes sind Fenster mit Vergitterungen zu sehen. Dazu heißt es: „Die Fenstervergitterungen sind die einzigen Gebäudeteile im SS-Lager, die mit einem Hakenkreuzornament versehen sind.“

Anhand von historischen Fotos lässt sich belegen, dass diese Vergitterungen zwischen 1940 und 1945 entweder gar nicht vorhanden gewesen sind, bzw. es sich um andere Gitter gehandelt hat, wie man sie auch im Klinkerwerk und den SS-LKW-Garagen finden kann. Diese angeblichen „Hakenkreuze“, dessen „Haken“ verkehrt herum sind, wurden in der Nachkriegszeit durch die Gefängnisverwaltung angebracht. Von den Gedenkstätten-„Pädagogen“ werden sie jedoch gerne zur Verunglimpfung und Geschichtsverfälschung benutzt.

Unter dem Kapitel „Stichkanal und Dove Elbe“ wird eine traumhafte Behauptung aufgestellt, wo es heißt, die Dove Elbe hätte zwischen Stichkanal und Krapphofschleuse eine „durchschnittliche Breite von 25 Metern“.

Donnerwetter. Derartige Behauptungen aufzustellen ist eine Kleinigkeit. Sie nachgeprüft zu vermitteln ist viel schwieriger. Jedoch muss man kein Prophet sein, um zu erkennen, dass die Dove Elbe an keiner besagten Stelle derart breit ist.

Unter dem Kapitel „Tongruben“ wird eine verklärte Sichtweise betrieben, wo man an der geistigen Verfassung der „Experten“ zweifeln muss. In der Gedenkstättenarbeit gibt es leider einige Mitarbeiter die eine Haltung einnehmen, die mit Objektivität nicht mehr viel zu tun hat. Die selbsternannten „Anti-Faschisten“ und ihr bedeutungslos gewordener Kampf gegen alles was nicht ihren ideologischen Vorstellungen entspricht. Sie sehen nur mit ihrem Tunnelblick. Es geht dabei nicht um Rechts oder Links, sondern sie orientieren sich nur an dem was in Nazi-Deutschland (und Europa) an Leid Menschen widerfahren ist und projizieren das auf die Gegenwart. Dabei sind ihnen Deutsche vollkommen gleichgültig. Das wir in einem demokratischen Rechtsstaat leben ist diesen Leuten vollends entgangen. Sie sind derart verbissen in ihrem Geist, dass sie keine Gegenargumente zulassen wollen. Genau genommen sind diese Anti-Faschisten die wahren Faschisten.

Folgende Bemerkung ist dort also angegeben: „… daß dies nicht der Besuch eines KZ ist (auch nicht eines ehemaligen), sondern einer KZ-Gedenkstätte.“

Ersteres bedarf keines Kommentars. Natürlich handelt es sich bei dem Besuch der Gedenkstätte Neuengamme um ein ehemaliges Konzentrationslager. Wenn das nicht vermittelt wird, dann ist der ganze Aufwand zum Erhalt des Geländes mit seinen historischen Gebäuden, und vor allem seiner Geschichte über Unmenschlichkeit, nichts weiter als verfehlter Pragmatismus.

Unter dem Kapitel „Unterkunftsbaracken“ wird es dann wieder recht abenteuerlich, weil alles pauschalisiert wird. „Die Baracken wurden je in zwei Blocks aufgeteilt, die einzelnen Blocks durchnummeriert. Ein Block bestand aus je zwei Räumen. Dem kleineren Tagesraum, im dem Tische und Bänke sowie die Schlafplätze von Funktionshäftlingen waren, und dem größeren Schlafraum, in dem sich die Reihen der dreistöckigen mit Strohsäcken belegten Holzpritschen befanden. Weiter enthielt jeder Block nur zwei bis drei Öfen. Die Baracken waren ständig überfüllt. In der Anfangszeit waren nur primitive Waschmöglichkeiten vorhanden. Erst 1941 wurden ausreichende Wasserversorgung, Kanalisation und Kläranlage fertig gestellt. In diesem Jahr wurde auch der Bereich zwischen den Baracken mit Klinker- und Estrichboden befestigt und überbaut. Dort wurden dann für je zwei Blocks gemeinsame Waschräume und Latrinen eingerichtet.“ (Unterstreichungen von mir)

„Die Baracken wurden je in zwei Blocks aufgeteilt“. Das ist wieder Nonsens. In Neuengamme standen jeweils zwei Baracken hintereinander. Sie waren nicht miteinander verbunden. Das wurde erst später gemacht als die Latrinen zwischen die Baracken gesetzt wurden. Jede Baracke war ein Block. „… in dem sich die Reihen der dreistöckigen mit Strohsäcken belegten Holzpritschen befanden“. Das ist zu pauschal und widerspricht z.B. dem was Edgar Kupfer in seinem Buch „Die Mächtigen und die Hilflosen“ beschreibt. Denn als er 1941 nach Neuengamme kam, gab es überhaupt keine „Betten“; nur Strohmatratzen. Ob und ab wann es diese dreistöckigen Pritschen gegeben hat, ist nicht belegbar. „Die Baracken waren ständig überfüllt.“ Wieder nur pauschal. In dem Zeitraum 1940 bis 1942 kann davon nicht die Rede sein. Die Überfüllung der Häftlingsunterkünfte bezieht sich auf einen späteren Zeitraum.

Im gleichen Kapitel dann „Die damals noch vorhandenen Entwässerungsgräben zwischen den Baracken wurden bei Fertigstellung verfüllt.“ Der ehemalige Häftling Ewald Gondzik erzählt das anders und plausibler. Das erste was gemacht werden musste, damit man sich auf dem Gelände überhaupt bewegen konnte, war die Zuschüttung der Wassergräben.

Unter dem Kapitel „Gedenkbereich“ befindet sich der „Experte“ auf dem Holzweg. „Auch der Umstand, daß die in die Gedenktafel eingemeißelte falsche Ermordetenzahl (5500) am Vorabend der Mahnmalseinweihung durch das Überkleben mit der (damals angenommenen) richtigen Zahl (55000) korrigiert werden mußte, läßt Rückschlüsse auf die Mentalität hinsichtlich des Umgangs mit der Geschichte des KZ Neuengamme in der Nachkriegszeit bzw. in den 1960er Jahren zu“.

Befremdlich ist zunächst einmal, dass hier rigoros von Ermordeten gesprochen wird. Die wenigsten Häftlinge sind ermordet worden. Die Bedingungen im Lager, die Zwangsarbeit und manche Willkür, vor allem von Vorarbeitern und Kapos, haben zum Tode von Häftlingen geführt. Das ist im juristischen Sinn kein Mord, sondern Totschlag.

Die falschen Zahlen auf der Tafel mit den Orten wo Häftlinge zu Tode gekommen sind, war wie beschrieben fehlerhaft. Die Überklebung mit den „richtigen“ Zahlen fand nicht in den sechziger Jahren statt, sondern erst 1981, kurz bevor das Dokumentenhaus eingeweiht wurde. Bis dahin hatte man eine „0“ an die fehlerhafte „5500“ angefügt. Insofern ist der Kommentar auf die Mentalität mit dem Umgang der Geschichte des KLs Neuengamme in diesem Fall ad absurdum geführt.

Die Zahlen der Häftlinge insgesamt (inkl. Außenlager), und die Zahlen der Opfer (inkl. Außenlager) sind nach heutigem Stand nicht mehr aktuell. Es wird in beiden Fällen von weniger ausgegangen. Eine Korrektur darf aber nicht mehr vorgenommen werden, weil die gesamte Gedenkanlage unter Denkmalschutz steht.

Unter dem Kapitel „Haus des Gedenkens - Modelle“ befinden sich einige Ungereimtheiten. Das dort zu bewundernde alte Modell des Lagerkomplexes stammt visuell aus der Zeit als britisches Internierungslager 1947/48. Es wurde aber erst viel später in den fünfziger Jahren gebastelt. Und zwar von Häftlingen des 1949 errichteten Gefängnisses. Das ist insofern interessant, weil das Modell noch das Krematorium zeigt (die Eisenbahngleise hingegen fehlen). Dem entgegen wird behauptet, das Krematorium wäre noch zur Zeit des Internierungslagers abgerissen worden. Dem konnte eigentlich nie richtig glauben geschenkt werden, weil es als unvorstellbar erscheint, dass ausgerechnet die Briten das Krematorium haben abreißen lassen, wo es doch einen besonderen Status für die an Menschen begangenen Verbrechen dargestellt hat.

Und zum guten Schluss muss festgestellt werden, dass zahlreiche Bereiche schlichtweg nicht berücksichtigt werden. So lässt sich keine vernünftige Aufklärung betreiben.

Angora-Kaninchenaufzucht,
Begrenzungspfeiler beim Stichkanal,
DAW,
Effekten und Bekleidungskammer,
Eisenbahnanschluss,
Fertigungsstelle Metallwerk,
Geheimwerkstatt,
Hammerwerk,
Industriehof,
Jastram,
JVA-Fragment 2,
Krankenrevier I,
Lagerstrasse und Bunker auf der westlichen Seite,
Lagerzaun-Postenkette-Wachtürme,
Messap,
Modellierwerkstatt,
Schießstand der SS,
SS-Siedlung,
Zivilarbeiterlager

Ingesamt würde ich dieser Arbeitsmappe eine 4minus verpassen. Sie ist einfach zu lieblos zusammengekleistert; zu unvollständig, mit zu viel Polemik und überschätztem „Fachwissen“.

Diejenigen Menschen die ein aufrichtiges Interesse an der Geschichte des ehemaligen KLs Neuengamme haben, möchte ich mal einen gut gemeinten Ratschlag mitgeben. Bereiten Sie sich auf eine Führung gut vor. Überlegen Sie sich gezielte Fragen, möglichst keine Oberflächlichkeiten, sondern Fragen die substanziell sind. Nehmen Sie dann an einer oder besser mehreren Führungen teil (zwecks Vergleich), z.B. sonntags, dann gibt es immer wieder thematische Führungen, die von Mitarbeitern der Gedenkstätte durchgeführt werden. Achten Sie dabei genau auf das was Ihnen erzählt wird, und auf die Qualität der Antworten die Sie auf Ihre Fragen erhalten. Sind Sie unzufrieden mit einer Antwort, haken Sie solange nach bis dem „Führer“ der Schweiß auf der Stirn steht. Trauen Sie sich zu widersprechen, wenn Sie anderer Meinung sind, oder ihr Wissensstand akkurater ist. Sie werden dann wahrscheinlich Erfahrungen machen, wie ich sie immer wieder machen konnte, wenn ich an diesen Führungen teilgenommen habe. Das Fachwissen ist meist mangelhaft. Teilweise banal an den Haaren herbeigezogen. Für die „Führer“ ist es nur ein Job, wofür sie bezahlt werden, unabhängig davon ob sie sich ins Zeug legen oder den Besuchern nur Langweiliges zu erzählen haben. Es ist eine Erfahrung, die es einem sehr deutlich macht, dass bei einer sensiblen Thematik wie einem Konzentrationslager, die Mitarbeiter der Gedenkstätte Neuengamme keine Schulung erfahren, wie schrecklich diese Gedenkstättenpolitik tatsächlich ist.

Das muss ja nicht so sein. Wer in der Gedenkstättenarbeit tätig ist, von dem sollte man eigentlich erwarten, dass er oder sie dazu stehen, und es nicht nur als eine bezahlte Tätigkeit erachten. Und was die Güte der Führungen angeht, so wird es in Neuengamme niemals so sein wie beispielsweise bei der Gedenkstätte Sachsenhausen, wo Prof. Dr. Morsch auch selbst Führungen macht. Das ist eine gesunde Einstellung.

Es gibt manchmal, zu bestimmten Anlässen, „Führungen“  oder auch „Vorträge“ von der akademischen Seite. Ich habe in diesem Blog schon mehrfach darüber berichtet. Und es zeigt eben auch, dass sich die Führungskräfte nur dann bereit erklären sich von ihrem Schreibtisch zu erheben, wenn z.B. Bundeswehrangehörige oder Polizisten nach Neuengamme kommen. Also immer dann, wenn man sicherstellen will, dass den Besuchern wirkliches „know-how“ vermittelt wird. Den konventionellen „Führern“ traut man das dann offensichtlich nicht zu. Und selbst bei den Akademikern kann festgestellt werden, dass sie sich für das, was von ihnen erwartet wird (und wofür sie letztendlich bezahlt werden), kaum vorbereiten und zum Teil nur floskelartiges von sich geben. Das hat auch häufig viel mit „Klugscheißerei“ zu tun, wobei aber die eigentlich avisierte Thematik auf der Strecke bleibt.

Wünschenswert wäre es natürlich in der Sache, wenn die „Führer“ durch professionell gestaltete Referate geleitet würden. Das könnte hilfreich sein, bzw. es wäre angemessen in Bezug auf die sensible Gesamt-Thematik. Großschnäuzigkeit und Übermut haben in der Gedenkstättenarbeit keinen Platz. Diesem Ort und seinen Opfern mit Achtung und Verständnis im historischen Kontext zu begegnen, dafür ist vor allem ein gesunder Grat von Courage erforderlich, und selbstverständlich ist damit ebenso verbunden, das unabdingbare Wissen über die Wahrheit – und zwar nur die Wahrheit. Wenn das von den „Pädagogen“ nicht verstanden und vermittelt wird, dann werden sie mit ihrer Arbeit niemals irgend etwas bei den Besuchern erreichen können.

Montag, 3. Oktober 2016

„1935 wurde der §175 erheblich verschärft“

Effekthascherei hat in der Gedenkstättenarbeit einen besonderen Stellenwert. Es werden Dinge behauptet, die entweder zu keinem Zeitpunkt stattgefunden haben, oder sich schlichtweg nicht beweisen lassen, oder aus dem Zusammenhang gerissen werden. D.h. es werden Lügen verbreitet, mit dem Ziel, den Gedenk-stättenbesuchern in eine Dramaturgie zu verführen, die das Leid der Betroffenen nochmals in eine Dimension befördert, aus der sich die Besucher nicht mehr befreien können, weil das was die Gedenkstätten-„Pädagogen“ den Menschen vermitteln, als etwas seriöses angenommen wird.

Am 1. Januar 1872 trat das deutsche Strafgesetzbuch in Kraft. Es beinhaltete bereits den Paragraphen 175, der zunächst bis zum 1. September 1935 seine Gültigkeit behielt.

Die Formulierung von §175 war folgendermaßen:
„Die widernatürliche Unzucht, welche zwischen Personen männlichen Geschlechts oder von Menschen mit Thieren begangen wird, ist mit Gefängniß zu bestrafen; auch kann auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden.“

Dieser §175 bezog sich, so lange er existent war, ausschließlich auf das männliche Geschlecht. Daran hat sich auch bis zu seiner Abschaffung im Jahre 1994 nichts verändert.

Weibliche Homosexualität war demnach nicht strafbar. Das ergibt sich auch daraus, dass Frauen im Dritten Reich immer noch unterprivilegiert waren. Tätigkeiten in gehobenen Stellungen waren relativ selten. Die klassische Unterdrückung des Feminismus wurde gesteuert von der Potenz des Maskulinen. In Nazi-Deutschland waren den „Weibern“ keine entscheidungsträchtigen Positionen zugedacht; sie kamen dafür überhaupt nicht in Betracht. Trotzdem werden Behauptungen aufgestellt, dass auch lesbische Frauen verfolgt worden wären und deshalb in Konzentrationslager gekommen sind, jedoch mangelt es dafür an Beweiskraft. Von Prostituierten ist das bekannt. Sie wurden als „asozial“ stigmatisiert; aus der Gesellschaft entfernt und in die Lager gesteckt, wo sie den Schwarzen Winkel erhielten.

Wenn anfangs davon die Rede war, dass Unwahrheiten in der Gedenkstättenarbeit verbreitet werden, so läßt sich diese Tatsache anhand von schriftlich niedergelegten Materialien belegen.

In einem Ausstellungstext bei der Gedenkstätte Neuengamme zu den unterschiedlichen Gruppen von Verfolgten im Dritten Reich heißt es: „1935 wurde der §175 erheblich verschärft.“ Einfach so. Ganz nackt und ohne Gummi. Keine Begründung; nix.

„Erheblich verschärft“ - was soll das eigentlich heißen? Diese Formulierung setzt eine drastische Verschärfung von §175 voraus.

Schauen wir uns nun diesen Paragraphen einmal genau an, der mit Wirkung ab dem 1. September 1935 „überarbeitet“ wurde und bis 1969 unverändert geblieben ist. Zur Erinnerung: Der Zweite Weltkrieg endete am 8. Mai 1945 und damit auch vorübergehend das deutsche Strafgesetz. Dennoch wurde der §175 mit Ausrufung der Bundesrepublik Deutschland 1949 zunächst beibehalten. Nach 1969 wurde die Voraussetzung für den Tatbestand von Unzucht präzisiert und das mögliche Strafmaß genauer beziffert.

Ein vermeintliches Nazi-Relikt geisterte also weiterhin im deutschen Strafgesetzbuch umher.

Die „erhebliche Verschärfung“ des §175 von 1935 im Reichsstrafgesetzbuch lautete folgendermaßen:
„(1) Ein Mann, der mit einem anderen Mann Unzucht treibt oder sich von ihm zur Unzucht mißbrauchen läßt, wird mit Gefängnis bestraft.
(2) Bei einem Beteiligten, der zur Zeit der Tat noch nicht einundzwanzig Jahre alt war, kann das Gericht in besonders leichten Fällen von Strafe absehen.“


Das ist wirklich scharf! Es gab nicht das geringste Anzeichen einer gesetzlichen Verschärfung zum §175. Eigentlich wurde er sogar gemildert. Der Gesetztext ist praktisch identisch mit dem von 1872.

Das Strafgesetzbuch stellte zwischen 1935 und 1945 nicht wirklich etwas rechtliches dar. Denn wie in jeder Diktatur herrscht nur ein Gesetz - nämlich das der reinen Willkür!

Die Verfolgung der Homosexuellen im Dritten Reich ist schlimm genug für die Betroffenen gewesen. Sie kamen auch in die Konzentrationslager und erhielten dort den Rosa Winkel. Dieses Faktum ist unbestritten, obwohl diese Verfolgtengruppe ebenso in den Lagern leiden mussten, wurden sie von der BRD nicht anerkannt. Entschädigungsansprüche konnten offiziell nicht geltend gemacht werden, nichtsdestotrotz haben auch diese Verfolgten Zwangsarbeit geleistet.

Was hat jetzt aber die Gedenkstätte Neuengamme dazu verleitet eine solche Stupidität in ihrer Ausstellung zu manifestieren? Anhand der Ausstellungstexte läßt sich nicht ermitteln wer das zu verantworten hat. Niemand hat sich die Gesetzestexte überhaupt angeschaut. Es wird stattdessen mal wieder eine Verunglimpfung vorgenommen, die mit der Realität nicht in Einklang zu bringen ist.


Abschließend soll noch auf die Erweiterung von §175 eingegangen werden. 1935 wurde der Paragraph 175a eingeführt (1969 wieder abgeschafft). Weder bei der Gedenkstätte Neuengamme noch in der Literatur wird darauf Bezug genommen. Die Rede ist ausschließlich vom §175.

In der Enzyklopädie des Nationalsozialismus (1997) wird von einem der Autoren aus dem §175a wie folgt zitiert: „schwere Unzucht zwischen Männern“. Das ist alles. Mehr nicht. Diesen Wortlaut gibt es im kompletten Paragraphen nicht. Dass es in diesem Zusatzparagraphen um Gewalt, Zwang und Nötigung zu homosexuellen Handlungen geht, kapiert nicht nur dieser Autor nicht, sondern die gesamte Riege der Geschichtsforschung ist derart verblendet, dass sie es sich so hindreht wie sie es gerade braucht.

In diesem Zusatzparagraphen geht es also in der Tat um eine „Verschärfung“, die jedoch den Heterosexuellen vor Übergriffen schützen sollte. Inwiefern dieser Paragraph dann mit Verfolgung von Homosexuellen in Verbindung gebracht werden kann, ist nicht nachvollziehbar. Eine Verschärfung in diesem Zusammenhang läßt sich nicht erkennen.

Wenn die Wissenschaft von einer „Verschärfung“ des besagten Paragraphen spricht, dann muß dem auch eine unmissverständliche Erörterung folgen.

Zahlreiche Paragraphen im StGB hatten im Dritten Reich Zusatzparagraphen. Z.B. hatte §223 die Zusatzparagraphen 223a und 223b. Wird dann in einer wissenschaftlichen Arbeit über Körperverletzung referiert, und lediglich der Hauptparagraph 223 (physische Gewalt) dafür herangezogen, dann kann dadurch keine Verständlichkeit erreicht werden, indem die Zusatzparagraphen 223a (Gewalt mit einer Waffe) und 223b (Gewalt gegen Kinder) unberücksichtigt bleiben.

„1935 wurde der §175 erheblich verschärft“ - Faktisch ist das falsch. Und die Menschen dann mit einem solchen Satz allein zu lassen, das kann nur zu Missverständnissen führen.

So funktioniert wissenschaftlich-historische Aufklärung jedenfalls nicht. Also, zurück auf die Schulbank!


Samstag, 17. September 2016

Die Banalität des Seriösen - 3. Kapitel


Wie viel Sorgfältigkeit darf man von einem Historiker erwarten? Wie in jedem anderen Genre gibt es auch in der deutschen Geschichtsforschung schwarze Schafe. Allerdings würde ich nicht soweit gehen und eine Absicht unterstellen wollen. Menschen machen Fehler. Wenn es aber um Aufklärung in der historischen Geschichte geht, dann muss man von einem Historiker erwarten können, dass seine wissenschaftliche Arbeit im Endprodukt den Tatsachen entspricht. Wenn aber aus einer Tatsache eine Unwahrheit wird, weil ein Historiker oberflächlich recherchiert oder keinen Abgleich mit anderen Quellen vorgenommen hat, oder die Zusammenhänge nicht richtig zu deuten vermag, dann muss sich jeder selbst fragen, ob er diesem Individuum auch weiterhin sein Vertrauen entgegen bringen möchte.

Die Gedenkstätte Neuengamme, als ein Organ der Kulturbehörde, ist eine Institution des öffentlichen Interesses. D.h. jeder Mensch hat das Recht sowohl vor Ort Nachforschungen im Archiv der Gedenkstätte vorzunehmen, als auch Anfragen an die Gedenkstätte zu richten. Das darf niemanden verweigert werden. Ob man beim letzteren auch eine Antwort erhält ist abhängig von verschiedenen Kriterien. Die Höflichkeit sollte es gebühren, jedem eine Antwort zukommen zu lassen. Egal ob Informationen vorhanden sind oder nicht. Das ist das eine. Das andere ist die soziale Kompetenz. Wie ich anfangs bereits betonte, wir alle sind homo sapiens. Wir werden beeinflusst von unserem Ego. Und dieses innere „Ich“ ist manchmal so übermächtig, dass wir zu „Unmenschen“ mutieren. Dabei spielt es auch keine Rolle ob jemand Akademiker ist; ob mit oder ohne Doktortitel, oder gar Professor. Wir sind nicht frei von unserem Ego. Und genau das macht es schwierig. Denn in unserem digitalen Zeitalter, wo vielerorts nur noch auf Distanz miteinander kommuniziert wird, ist es ein einfaches verbal um sich zu schlagen. Die betreffende Person steht ja schließlich nicht vor einem. Der Respekt für einander gerät dabei manchmal völlig aus den Fugen. „Wie du mir, so ich dir“ heißt es gerne im Volksmund. Von Angesicht zu Angesicht wäre der Tenor dann (vielleicht) etwas anders gestaltet.

Ich habe die Erfahrung gemacht, wenn ich jemanden oder etwas bei der Gedenkstätte Neuengamme kritisiert habe, dann mache ich das nicht aus Jux und Dollerei, sondern weil ich meine Gründe dafür habe. Diese Kritik, man nennt es auch freie Meinungsäußerung, wird dort eigentlich nie richtig verstanden, weil eine Rüge sofort den Kinnladen der betreffenden Person runterfallen lässt und sie in Selbstmitleid zerfließt. Dort will man kritische Worte auch gar nicht verstehen. Lieber wäre es den Herrschaften wenn sie mit Lob überschüttet würden; und zwar nur mit Anerkennung. Genau so ist es bei Detlef Garbe. Er will für seine Arbeit Applaus erhalten, wie die meisten anderen Menschen auch. Wenn es aber Grund zur Kritik gibt, dann zieht er sein Schwänzchen ein, ist beleidigt und zu eitel um zu kommunizieren. Sein Ego will befriedigt sein.

Ich selbst habe mich in der Neuengammer Gedenkstättenarbeit immer wieder verstärkt eingebracht, indem ich eigene Nachforschungen zu verschiedenen Themen angestellt und schriftlich ausgearbeitet habe, und habe daran auch die Gedenkstätte Neuengamme teilhaben lassen. Was habe ich davon, wenn nur ich zu bestimmten Ergebnissen gelange? Nicht viel. Also sollen auch andere etwas davon haben. Eine respektvolle Anerkennung hat es von seiten der Gedenkstätte Neuengamme bislang zu keinem Zeitpunkt gegeben. Denn das Ego der Verantwortlichen ist größer als ihr Verstand.

Damit muss ich leben. Damit kann ich umgehen. Und es wird mich nicht davon abhalten auch weiterhin meine Ziele zu verfolgen.

Wenn also Detlef Garbe keinen Respekt vor mir und meiner Arbeit hat, dann könnte ich die gleiche Mentalität wie er an den Tag legen. Oder etwa nicht?

Ich hatte weder in der Vergangenheit noch in der Gegenwart irgend etwas persönliches gegen Herrn Dr. Garbe. Er sieht das vermutlich anders. Dennoch muss ich es immer wieder aufs Neue betonen, dass mein Interesse ausschließlich der Wahrheitsfindung gilt. Und in diesem Kontext müsste eigentlich auch Detlef Garbe kapieren - die Welt dreht sich nicht für ihn allein.

Und nun zu einem weiteren Beispiel. Der Protagonist ist - genau - Dr. Detlef Garbe.

Als Anfang 2015 überraschenderweise Garbe’s Buch mit dem Titel „Neuengamme im System der Konzentrationslager“ erschien, war die latente Hoffnung einigermaßen groß, dass nun endlich die ganze Geschichte über das ehemalige KL Neuengamme erzählt werden wird. Aber leider geht es in diesem über 500 Seiten starken Buch eben nicht um die historische Geschichte. Es wird zwar in komprimierter Form auch davon erzählt, aber in einer Art und Weise, die unfein und unprofessionell ist. Die Seiten 76-122 sind Wort für Wort identisch mit den Seiten 12-45 im aktuellen Ausstellungskatalog Band I!

Wie abgebrüht kann ein Historiker eigentlich sein, dass er seine Texte einfach von einer Publikation zur nächsten kopiert? Garbe repliziert immer wieder aufs Neue das, was er bereits in der Vergangenheit wiederholt gemacht hat. Immer dieselbe Leier. Der politische Kampf für eine angemessene Gedenkstätte ist offenbar sein einziger Fokus. Darüber hinaus hat er nicht viel zu erzählen. Obwohl, wie er einmal in einem Interview zum Ausdruck brachte, dass er gerne recherchieren würde. Wenn das seine Passion ist, warum sind er und sein Team dann unfähig das ganze Kapitel von Neuengamme zu erzählen? Herr Garbe sollte sich einmal ein Beispiel daran nehmen, wie es die Gedenkstätte Sachsenhausen praktiziert. Dort wird nämlich wirklich Aufklärung betrieben, mit vielen interessanten Publikationen, die helfen dieses düstere Kapitel der KLs besser zu verstehen. In Neuengamme jedoch wird wohl nur Däumchen gedreht oder Kaffeekränzchen in der Bibliothek gehalten.

Günter Morsch hebt im Vorwort zu Garbe’s Buch die Initiierung der so genannten „Neuengamme-Hefte“ (Beiträge zu Geschichte der nationalsozialistischen Verfolgung in Norddeutschland) lobend hervor. Ich will das auch nicht schlecht reden. Aber in diesen Heften werden diverse Artikel zu unterschiedlichen Themen der verschiedenen Gedenkstätten-Orte veröffentlicht. Der Anteil von Artikeln über die historische Geschichte zu Neuengamme ist dabei allerdings recht mager. D.h. aber auch, dass die Forschung in Neuengamme keinen besonders großen Stellenwert hat, ansonsten müssten diese Hefte nur so vor Neuengamme-Artikeln strotzen.

Auch kann ich Morschs Meinung zum Offenen Archiv nicht teilen, wozu er bemerkt, dass die Gedenkstätte Neuengamme „international einen ausgezeichneten Ruf erworben [hätte]“. Das erscheint dann doch etwas zu solidarisch; schließlich ist Herr Morsch der Vorsitzende der wissenschaftlichen Fachkommission der Gedenkstätte Neuengamme. Das Offene Archiv (Internet) an sich ist eine gute Einrichtung; dennoch finden sich dort eben nur die Texte der Ausstellungen. Darüber hinaus werden keine aktuellen Forschungsergebnisse oder dergleichen veröffentlicht. Die eigentliche Zweckmäßigkeit eines „globalen Archivs“ wird hier deutlich verfehlt.

Ich habe in diesem Blog bereits auf ein Foto in Garbe’s Buch aufmerksam gemacht, welches vom Autor fehlinterpretiert wurde. Ich konnte das klar und deutlich widerlegen. Das ist kein Einzelfall. Fotos weder immer wieder von den Fachleuten nicht richtig gedeutet.

Ich könnte auch nochmals auf die sowjetischen Kriegsgefangenen zu sprechen kommen. Da ich das aber bereits mehrfach an dieser Stelle getan habe, will ich es dabei bewenden lassen. Trotzdem ist es nicht richtig, sondern eine anmaßende Behauptung, wenn Garbe in seinem Buch davon schreibt, dass diese Kriegsgefangenen „am Rande des Bergedorfer Friedhofs bestattet“ worden wären. Erklärbar ist das nicht durch mangelnde Intelligenz. Vielmehr ist es so, dass Garbe es ganz genau weiß, dass diese Opfer dort nicht beerdigt worden sein können. Aber er kommt einfach nicht über seinen Schatten hinaus, weil er dann akzeptieren müsste, was ich bei meinen Nachforschungen zu diesem Kapitel festgestellt habe, und nicht widerlegbar ist. Das allein ist der einzige Grund weshalb er derartigen Mumpitz verbreitet.

Selbstverständlich habe ich Garbe aufgefordert mir seine Quellen zu nennen, aus denen er seine absurden Rückschlüsse gezogen hat. Eine Reaktion gab es von ihm dazu nicht.

Reimer Möller, der Leiter des Archivs in Neuengamme, meinte damals zu mir, dass die Gedenkstätte eben auch auf „Hobby-Forscher“ angewiesen ist (und mich sogar ermunterte selbst Artikel zu verfassen). Wenn das tatsächlich so ist, dann frage nicht nur ich, warum diese Arbeiten keine Pietät erhalten?

Für mich ist es vollkommen klar, weshalb Garbe diese respektlose Haltung gegenüber engagierten Mitmenschen einnimmt. Es widerspricht dem was Möller sagt; aber Garbe hat große Schwierigkeiten die Leistungen von Menschen anzuerkennen, die eben nicht zum „Club“ gehören; also nicht studiert haben oder dergleichen. Das ist Nonsens und zeugt von Verachtung für diejenigen, die sich mit viel Herz für die Gedenkstätte Neuengamme interessieren. Solche Menschen gibt es nicht allzu viele. Ich zähle mich dazu. Und das kann mir auch keiner streitig machen. Ich bin auch heilfroh, dass ich nicht mehr in diesem „faschistischen“ kirchlichen Arbeitskreis tätig bin, dessen Demagoge zu den übelsten Denunzianten gehört.

In dem erwähnten Buch von Garbe sträuben sich einem die Haare, wenn man wiederholt feststellen kann, dass er auch seine Laudatio zum Tode von Herbert Schemmel 2003, welche zuvor bereits mehrfach publiziert worden war, diesen veralteten Text einfach in sein Buch kopiert hat. Ist das aufrichtig? Nein, es ist eine unverschämte Dreistigkeit. Außerdem werden von ihm Dinge behauptet, für die es keine Beweise gibt bzw. seine Sichtweise derart plump ist, weil ihm die vorhandenen Beweise nicht bekannt sind. Einfach weil Garbe die Meinung vertritt, oder weil er sein Studium offensichtlich nicht richtig verstanden hat, oder die Vorlesungen geschwänzt hat. Keine Ahnung. Aber diese Unwahrheiten, die man getrost als Irreführungen bezeichnen kann, sind eine ungeheuerliche Frechheit.

Auf Seite 57 wird von ihm die Behauptung aufgestellt, dass die 71 Fuhlsbüttel-Häftlinge auf Weisung des Höheren SS- und Polizeiführers Bassewitz-Behr nach Neuengamme überstellt und letztendlich dort ermordet worden sind. Seine Quelle dafür ist Tino Jacobs’ „Himmlers Mann in Hamburg“, ein Versuch den militärischen Werdegang von Bassewitz-Behr nachzuzeichnen. Jacobs kann aber keinen Beweis für diesen Vorgang erbringen, er spricht auch nicht von Überstellung nach Neuengamme, sondern „nur“ von der Tötung, weil er sich auf das stützt, was im Fuhlsbüttel-Verfahren verbal verhandelt wurde; d.h. gegenseitige Beschuldigungen durch Max Pauly, der von Bassewitz-Behr eine mündliche Anordnung zur Tötung der Häftlinge erhalten haben will. Mündliche Befehle sind jedoch gegenstandslos. Jacobs räumt jedoch zugunsten Bassewitz-Behrs ein: „In jedem Fall ist es Spekulation. Gewißheit … gibt es nicht. Garbe hat sich eben nicht bemüht festzustellen, inwiefern der HSSPF überhaupt diese Fügungsgewalt gehabt hat. Bereits spätestens seit Juni 1944 gab es die geheime Anordnung an alle KLs vom RFSS Himmler: „Auf Einweisungen, Entlassungen, … haben die Höheren SS- und Polizeiführer keinen Einfluß. Die Erledigung und Bearbeitung dieser Sachgebiete erfolgt nach wie vor durch das Reichssicherheitshauptamt.”

Auf Seite 184 geht es um den Zeitpunkt wann die Engländer das Lager Neuengamme erreicht haben. Garbe sagt, die letzten Häftlinge und SS-Leute hätten das Stammlager am 2. Mai 1945 verlassen und wenige Stunden später waren die Briten schon da. Springen wir auf Seite 412. Jetzt heißt es von Garbe bzgl. der neugestalteten Gedenkstätte Neuengamme, dass diese am 5. Mai 2005 zum 60. Jahrestag der „Befreiung“ eingeweiht werden könne.

Seite 328. Garbe behauptet die jüdischen Häftlinge hätten einen gelben Winkel getragen. Das ist ein äußerst sensibles Thema, und man muss hier einfach mit Feingefühl herangehen. Was Garbe behauptet ist falsch. Juden hatten dieselben Winkel wie andere Häftlinge auch. Also z.B. ein politisch Gefangener Jude den roten Winkel (Spitze nach unten), und dahinter (Spitze nach oben) einen gelben Winkel; das ergibt dann einen Davidsstern.

Schuldig ist natürlich nicht er. Wie könnte es anders sein - die anderen sind die Dummen. Diejenigen die ihn kritisieren. Ich gehöre dazu. Und ich werde auch nicht damit aufhören, einem Akademiker verständlich zu machen was sein Job ist. Interessieren tut ihn das natürlich nicht, weil sein Ego ihm ständig im Weg steht. Und so ein Mensch ist Direktor einer Gedenkstätte?

Man muss sich wirklich fragen, welchen Zweck dieses Buch überhaupt verfolgt? Es erschien kurz vor Garbe’s 25jährigen Jubiläum als Leiter der Gedenkstätte Neuengamme, wohlgemerkt von ihm „geschrieben“ und nicht von jemand anderen über seine Arbeit als Direktor der Gedenkstätte Neuengamme. Inhaltlich ist es ein Sammelsurium an Themen unterschiedlicher Couleur, deren Notwendigkeit überflüssig erscheint, weil es nichts Neues beinhaltet (ab Seite 375 geht es nur noch um die ängstliche Frage, ob derartige Gedenkstätten wie Neuengamme auch weiterhin überleben können, wenn es keine Zeitzeugen mehr gibt, die mahnend für den Erhalt dieser Opferstätten eingetreten sind). Die Ausstellungskataloge (2014); Hermann Kaienburg’s niedliches Taschenbuch (1997) über das KL Neuengamme und Garbe’s „Rückblicke Ausblicke“ (2002) stellen praktisch das gleiche dar wie diese Publikation, eben als Zusammenfassung. Aber ist es daher überhaupt erforderlich? Oder ist es nur eine populistische Doktrin?

Beim Durchlesen dieses Buches wird man das Gefühl einfach nicht los, dass Garbe verschiedene ältere Arbeiten von sich hat hier einfließen lassen, die er hier pleonastisch verwendet. Und obwohl mal wieder Lektor Schlichting für dieses Werk verantwortlich zeichnet, sind die zahlreich vorhandenen Satzfehler nicht nachvollziehbar. Dieser Buchtext ist definitiv durch kein Lektorat gegangen.

Lästige Kritiker will sich Garbe vom Leib halten, sofern es ihm möglich ist. In meinem Fall hat er alle Register gezogen um mich loszuwerden. Der Teufel kann nicht perfider sein. Gelungen ist ihm das nicht und wird es auch nicht. Letztendlich ist er schließlich nicht besser als all die Denunzianten die es im Dritten Reich gegeben hat. Schade eigentlich, Herr Garbe, dass wir heute in einem demokratischen Rechtsstaat leben, der es jedem ermöglicht seine Meinung frei zu äußern [Grundgesetz Artikel 5], ohne dafür den Kopf zu verlieren. SIE, Detlef Garbe, sind das Allerletzte wenn es um Respekt, Moral und Anstand geht!

Günter Morsch charakterisiert Garbe im Vorwort in dem hier behandelten Buch mit „… seiner stets offenen, dialogischen und konstruktiven Art, mit Konflikten und Problemen umzugehen, …“ Eine derartige Einschätzung mag vielleicht prima facie zutreffen, aber wenn es um interne Querelen geht, wovon die Außenwelt nichts mitbekommt, dann ist von dieser „Kompetenz“ absolut null zu vernehmen.

Kaum jemand weiß was sich hinter den Kulissen der Gedenkstätte Neuengamme abspielt. Ich weiß es, denn ich bin betroffen. Ich bin ein Opfer der Obsession eines Narzissten.

Sonntag, 4. September 2016

Die Banalität des Seriösen - 2. Kapitel


Ja, Ja. Wie hoffnungslos verloren die Gedenkstätte Neuengamme tatsächlich ist, zeigt folgendes Beispiel.

2013 habe ich Detlef Garbe den Vorschlag unterbreitet, für die Ehrenamtlichen eine Sonderführung zu den sonst nicht zugänglichen historischen Gebäuden zu machen. Und siehe da, der „Meister aller Klassen“ höchstpersönlich war von dieser Idee derart begeistert, dass er die Führung selbst gemacht hat. Na gut, um ehrlich zu sein, fand sich niemand sonst bereit diesen speziellen Rundgang zu machen, weil der Vorschlag ja von mir kam. Die Teilnahme daran war dennoch ziemlich groß; denn nicht nur Ehrenamtliche sondern auch zahlreiche Mitarbeiter der Gedenkstätte Neuengamme haben daran teilgenommen. Daher konnte man gar nicht anders entscheiden als diese besondere Führung durchzuführen. Tja, bei so einer Wahnsinns-Idee, auf die natürlich nur Intellektuelle wie ich kommen können.

Und jetzt - 2016 - am Tag des Offenen Denkmals, bietet die Gedenkstätte eine solche Führung für jederman an. Heidewitzka Herr Kapitän! Natürlich wird nicht darauf hingewiesen wer der Initiator dieses Rundgangs ist, denn dafür benötigt man Courage, und die hat in Neuengamme niemand.

Ich empfehle allerdings diese Führung nicht mitzumachen, da Nebenwirkungen nicht auszuschließen sind. Es besteht Gefahr für Leib und Leben!

Ach, Herr Garbe, Sie beweisen doch immer wieder, dass Sie und Ihre Leute ohne mich nur hilflose Subjekte ohne jegliche Kreativität sind.

Mein aufrichtiges Beileid.


“Sonderführung” am 19. Oktober 2013

Dienstag, 23. August 2016

Die Banalität des Seriösen

Neben den allgemeinen wissenschaftlichen Arbeiten die von Historikern zum Thema Konzentrationslager publiziert werden, gibt es auch solche, die von einem anderen Blickwinkel aus betrachtet oder „analysiert“ werden - vom soziologischen Standpunkt.

Wolfgang Sofsky, der weder Historiker noch sonst ein Fachmann für die Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager ist, hat 1993 eine Publikation unter dem Titel „Die Ordnung des Terrors-Das Konzentrationslager“ herausgebracht. Einen nachhaltigen Eindruck hat dieses Buch nicht hinterlassen, denn es wird verhältnismäßig wenig darauf verwiesen bzw. zitiert.

Die Problematik die sich bei Sofsky ergibt ist, dass er keine eigenen Nachforschungen oder Untersuchungen angestellt hat, sondern seine Rückschlüsse orientieren sich ausschließlich an dem was andere bereits erarbeitet hatten. In diesem Kontext muß jedoch niemand Soziologe sein, um das System, die Gewaltherrschaft, der Konzentrationslager zu verstehen. Ich empfinde es daher als ziemlich anmaßend, wenn jemand Quellen von Dritten heranzieht um sich daraus zu profilieren.

Und damit liegt nämlich das nächste Problemchen schon parat. Wer Forschungsarbeiten von anderen für seine eigene Arbeit heranzieht, ohne sie jedoch zu verifizieren, oder noch schlimmer, ohne eigene Nachforschungen anzustellen, kann damit ziemlich auf die Schnauze fallen.

Die Aufgabe eines Historikers muß es sein eine adäquate Forschungsarbeit abzuliefern, dafür hat er schließlich studiert; dafür wird er bezahlt. Das faktische sollte dabei unantastbar sein. Ist es das nicht, geht die Seriosität verloren. Es versteht sich von selbst, dass die Glaubwürdigkeit des Autors darunter leiden kann.

Ich gehe davon aus, dass es wenigen Menschen auffallen wird, wenn faktische Unstimmigkeiten in der Fachliteratur vorhanden sind, diese überhaupt zu erkennen. Und selbst wenn sie erkannt werden, wird fein säuberlich das Tuch des Schweigens darüber gehüllt, schließlich soll ja keiner der geschätzten Kollegen kritisiert werden. Das jedoch ist unseriös und verstößt gegen den Kodex der Wahrheitsfindung in der Geschichtsforschung.

Beispiel 1.
1997 erschien eine Publikation deren Titel allein schon neugierig machte - „Eine Frau an seiner Seite“ von der Historikern Gudrun Schwarz, die damals am Institut für Sozialgeschichte in Hamburg tätig war.

Ihre Arbeit ist durchweg äußerst akribisch mit zahlreichen faktischen Details. Dennoch ist sie mehreren Unwahrheiten erlegen, die von ihr nicht gegengeprüft wurden, bzw. nicht wahrheitsgemäß von ihr dargestellt werden. Und damit liegt dann leider wieder der „Tatbestand“ des Unseriösen vor.

Frau Schwarz schreibt: „Auch die SS-Führer des Konzentrationslagers Neuengamme bei Hamburg lebten in einer Siedlung in unmittelbarer Nachbarschaft des Lagers. Im Mittelpunkt der Siedlung plätscherte ein Springbrunnen, daneben lag ein kleiner, parkähnlicher Garten mit weißen Holzliegestühlen und Bänken, wie man sie aus Kurorten kennt.“ Ihre Beschreibung ist zwar im Detail vollkommen korrekt, nur handelt es sich dabei eben nicht um die SS-Siedlung des KLs Neuengamme. Diese befand sich nämlich ganz woanders und kann auch nicht als Siedlung bezeichnet werden, wie es von anderen Lagern her bekannt ist.

Das was Frau Schwarz beschreibt befand sich direkt im SS-Lager bei den Unterkünften für die SS-Offiziere. Offensichtlich war die Grundlage dieser Annahme einige Fotos der SS, auf denen genau das zu sehen ist was Frau Schwarz in ihrem Buch beschrieben hat. Sie hat daraus einfach gefolgert, dass es sich hierbei um die SS-Siedlung handeln müsste. Derartige Mutmaßungen haben in der seriösen Forschung nichts verloren. Es muß ein eindeutiger Beweis dafür erbracht werden. Andernfalls muß es so geschildert werden, dass es selbst für Laien unmissverständlich ist.

Aufnahme von 1942
Aufnahme von 2011

Beispiel 2.
Frau Schwarz schreibt: „Kitt wurde von einem britischen Militärgericht wegen in Auschwitz begangener Taten zum Tode verurteilt und am 8. Oktober 1946 in Hameln hingerichtet.“ Bruno Kitt war der letzte Lagerarzt im KL Neuengamme. Seine Dienstzeit dort betrug nur wenige Wochen. Kitt war einer der vierzehn Angeklagten im ersten Neuengamme-Prozeß ab März 1946. Die Verhandlungssache in diesem Verfahren war nicht Auschwitz sondern Neuengamme. Der Staatsanwalt und auch Kitts Verteidiger thematisierten jedoch während der Verhandlung die Dienstzeit des Angeklagten in Auschwitz. Bei der Schuldigkeit und Urteilsfindung durfte das Gericht offiziell nur seine Tätigkeit in Neuengamme heranziehen. Dennoch wurde er von den britischen Richtern zum Tode verurteilt. Es erscheint hierbei klar und deutlich zu sein, dass die Richter die lange Dienstzeit von Kitt als Arzt in Auschwitz von 1942-45 nicht ignorieren wollten und sie daher gar nicht anders entscheiden konnten als ihn durch den Strang zu richten. Juristisch ist diese Entscheidung fragwürdig. Frau Schwarz hat die Fakten hier einfach nach ihrem Dafürhalten verdreht und in einen juristischen Zusammenhang gebracht, der so überhaupt nicht stattgefunden hat.

Beispiel 3.
Manchen Historikern kann man fast jede Geschichte auftischen, die sie blauäugig annehmen, ohne zu hinterfragen, ohne Beweise dafür einzufordern. Frau Schwarz ist einer solchen fabelhaften Geschichte auch aufm Leim gegangen.

Sie behauptet, dass es Zivilisten möglich gewesen wäre die Lagerstraße in Neuengamme mit Kind und Kegel entlang zu flanieren, weil es da so schöne Musik gibt und die Blumen so einladend wirken. Und das wäre von der SS auch noch genehmigt gewesen.

Beim Teutates! Das ist wirklich eines der übelsten Hirngespinste die es gibt.

Jedes Konzentrationslager war Sperrgebiet; ein Hochsicher-heitstrakt der für Zivilisten absolut tabu gewesen ist. Entsprechende Warnhinweise machten unmissverständlich klar, dass dieser Bereich nicht zugänglich ist und das andernfalls von der Schußwaffe gebrauch gemacht werden wird. Beide Seiten der Lagerstraße (Neuengammer Heerweg; heute Jean-Dolidier-Weg) in Neuengamme waren mit Wachposten und Schlagbaum gesichert. Nur mit Sondergenehmigung war es Zulieferern gestattet die Lagerstraße zu passieren.


Es dürfte allgemein bekannt sein, wie es in Berichten von Überlebenden, aber auch in offiziellen Dokumenten, immer wieder vorzufinden ist, dass am Sonntagnachmittag in den KLs nicht zwangsmäßig gearbeitet werden mußte. Ob das durchweg praktiziert wurde lassen wir mal dahingestellt, denn die permanente Arbeitsleistung der KL-Häftlinge, insbesondere ab 1942, war aufgrund des Kriegsverlaufs unerläßlich geworden. Eine Solidarität von seiten des WVHA erscheint dazu eher fragwürdig.

In der Nachkriegszeit haben Anwohner in und um Neuengamme diesen Umstand zum Anlass genommen und diese ungeheuerlichen Geschichten erfunden. Damit sollte suggeriert werden, dass die Konzentrationslager gar nicht so schlimm gewesen sind; die SS-Leute freundliche Menschen waren. Damit wurde versucht von der eigenen Verantwortung abzulenken. So war es den Anwohnern möglich zuzugeben, dass sie viele Dinge gewusst und toleriert haben, und da sie das Lager angeblich sogar von außen besichtigen konnten, wie hätte dann ein negativer Eindruck entstehen sollen? Alles erschien prima.

Dazu noch eine kleine Anekdote die mir in diesem Zusammenhang angemessen erscheint. Während meiner Mitarbeit in diesem dubiosen kirchlichen Arbeitskreis in Neuengamme, gab es dort eine schon recht betagte Kollegin, deren Vater ein SS-Mann gewesen ist, und worauf sie ziemlich stolz zu sein schien, denn immer dann wenn Besucher ins Plattenhaus kamen erzählte sie diese Geschichte mit leuchtenden Augen. Sie wollte mir also weiss machen, dass wenn Häftlinge über den Neuengammer Hausdeich Richtung Bahnhof marschierten oder umgekehrt, die SS alle Deichanwohner aufforderte ihre Fensterläden zu schließen. Diese Behauptung kam mir ziemlich suspekt vor, und ich fragte ob sie das tatsächlich glauben würde? „Natürlich tu ich das!“ antwortete sie mir daraufhin. Diese Naivität stützt sich, wie sie weiterhin ausführte, auf das was Edgar Kupfer („Die Mächtigen und die Hilflosen“) als ehemaliger sechsmonatiger Neuengamme-Häftling später berichtet haben soll. In seinem Erfahrungsbericht ist jedoch eine derartige Beschreibung nicht aufzufinden. Und im „Dorf Neuengamme“ gab und gibt es auch keine Häuser mit Fenster-läden. Für die norddeutsche Flachebene erscheint das auch ungewöhnlich.

Manchmal muß man wirklich an der Zurechnungsfähigkeit von Wissenschaftlern zweifeln, wenn sie das Verständnis für das System der NS-Konzentrationslager nicht aufbringen können oder wollen. Viele Geschichten von Überlebenden und anderen Zeitzeugen werden rigoros geglaubt, auch wenn sie noch so absurd sind. Lange Zeit selbst glaubte tatsächlich die Gedenkstätte Neuengamme, dass Häftlinge die eisernen Loren die Rampe am Klinkerwerk in Neuengamme mit Körperkraft hinaufschieben mußten, bis es jemanden bewusst geworden ist, das so etwas physikalisch vollkommen auszuschließen ist. Diese Absurdität wurde sogar auf einer Info-Tafel bei der Rampe verbreitet; die Tafel ist inzwischen ausgetauscht worden. Diese Einsicht in der Neuengammer Gedenkstättenarbeit ist allerdings eine Rarität.

Die hier vorgetragenen Beispiele beziehen sich nur auf Neuengamme. Sie sind aber gewissermaßen symptomatisch für viele andere Forschungsarbeiten zu verstehen. Ich gehe jedoch in dem hier vorgetragenen Beispiel davon aus, dass noch weitere Unstimmigkeiten vorhanden sind. Frau Schwarz ist in ihrer Arbeit streckenweise wenig objektiv und pauschalisiert immer wieder. Ihre unprofessionellen persönlichen Bewertungen schaden ihrer Arbeit mehr als das sie ihr nutzen.

Das was ich hier beschrieben habe ist ein ganz typisches Dilemma in der deutschen Geschichtsforschung. Es wird auf vorhandene Quellenlage vertraut. Meistens jedoch sehen Historiker keine Veranlassung diese Quellen zu hinterfragen. Das würde nämlich viel Zeit kosten. Am Ende leidet darunter die ganze Forschungsarbeit und das Ansehen des Autors.


Mittwoch, 20. Juli 2016

Das Martyrium der Hildegard K.

Mitte Mai 1947 fand eines der letzten militärischen Gerichtsverfahren in Hamburg im Curiohaus statt. Angeklagt waren sechs Personen, drei Männer und drei Frauen, die im Neuengamme-Außenlager “Drägerwerk” in Wandsbek tätig waren. In diesem nur relativ kleinen und knapp ein Jahr bestehenden Arbeitslager mussten durchschnittlich 500 Frauen, vor allem Osteuropäer, aber auch Deutsche, Gasmasken herstellen.

Eine der Angeklagten Frauen war die ehemalige Aufseherin der SS-Gefolgschaft Hildegard K., bei Kriegsende gerade einmal 23 Jahre jung.

Gewissermaßen bestand das Wandsbek-Verfahren aus zwei Prozessen. Das erste beschäftigte sich mit den SS-Männern, die das Lager leiteten bzw. bewachten. Der zweite Teil mit den Aufseherinnen. Das Verfahren erstreckte sich über fast vier Wochen, vom 16.5.1947 bis 13.6.1947.

Die Anklagepunkte waren nicht pauschal für alle Angeklagten gültig, sondern bezogen sich explizit auf ihre tatsächlichen Tätigkeiten bzw. vermeintlichen Verbrechen (1st charge, 2nd charge etc). Deswegen trennten die Engländer in diesem Fall zwischen Frauen und Männer (innerhalb eines Verfahrens).

Dieser Prozess fällt deshalb aus dem gängigen Rahmen, weil kurz vor Verfahrenseröffnung ein Tatbestand bekannt wurde, der die britische Militärjustiz auch in einem anderen Licht erscheinen ließ - nämlich einem äußerst finsteren.

Dem damaligen Lieutenant-Colonel Gerald Draper, der in einigen Verfahren als Ankläger fungierte, war es nämlich zu Ohren gekommen, dass eine ehemalige SS-Aufseherin von ihrem britischen Vernehmer misshandelt wurde. Daraufhin machte Draper offiziell Meldung bei der Dienststelle für interne Ermittlungen der britischen Rheinarmee.

Diese Angelegenheit muss für die Briten äußerst peinlich gewesen sein, denn man strebte nun zunächst ein Verfahren gegen den Misshandler an, noch bevor der Wandsbek-Prozess beginnen sollte. Das hat aber offenbar nicht stattgefunden. Fairerweise muß jedoch gesagt werden, dass zumindest Lieutenant-Colonel Draper es für ratsam hielt keine Verschleierung in dieser Sache vorzunehmen. Es wurde in Betracht gezogen, dass die Öffentlichkeit nicht vom Wandsbek-Prozess ausgeschlossen werden sollte, obwohl Draper darauf hinwies, dass die besonderen Umstände in diesem Fall in einer geschlossenen Verhandlung durchgeführt werden sollten. Auch die Presse sollte über dieses Ereignis informiert werden. Ob das geschehen ist, müsste noch überprüft werden.

Folgendes war geschehen. Am 21. August 1945 wurde Frau K. von der Kriminalpolizei verhaftet und im Polizeigefängnis Hütten arrestiert. Wenige Tage später wurde sie dann eines späten Nachmittags beim britischen Geheimdienst in der Hamburger Innenstadt von einem niederrangigen britischen Soldaten, einem gewissen Serjeant Dow vernommen. Nach der Vernehmung sollte Frau K. im Untergeschoss warten. Als gegen 19.00h alle anderen Vernehmungen abgeschlossen waren, rief dieser Serjeant Frau K. erneut in sein Büro. Er machte der jungen Frau deutlich, dass sie aufgrund schwerwiegender Verbrechen mit einer Strafe von mindestens zwei Jahren Gefängnis rechnen müsse. Dem könnte sie allerdings entkommen, wenn sie einer, wie der Serjeant es nannte, “Körperstrafe” zustimmen würde. Sie dürfe aber niemanden davon erzählen. Im Angesicht ihrer fortgeschrittenen Schwangerschaft und der Angst ihr Kind im Gefängnis zur Welt bringen zu müssen, stimmte Frau K. der Züchtigung zu. Die Frau musste sich nun nackt ausziehen, und der Serjeant legte sie über sein Knie und versohlte ihr wie wild den Hintern, so dass die arme Frau Blutergüsse davon trug. Danach erhielt sie einen Entlassungsschein und durfte nach Hause gehen.

Eine gute Woche später sollte sich Frau K. erneut bei der FSS (Field Security Section = Militärpolizei) am Alsterufer melden. Sie kam wieder in das gleiche Büro, zu dem gleichen Serjeant, der dann zu ihr sagte, dass sie nicht genug bestraft worden sei, und dass die Bestrafung für die folgenden fünf Wochen fortgesetzt wird. Die schwangere Frau brach daraufhin zusammen und sagte, dass sie das nicht durchhalten könnte. Daraufhin meinte der Serjeant, sie könnte die gesamte Strafe auch auf einmal bekommen. Sie musste sich dann wieder ausziehen und wurde zunächst mit der flachen Hand wie zuvor geschlagen und danach noch mit einer Reiterpeitsche die auf dem Schreibtisch bereit lag.

Ob Frau K. ihr Baby durch diese “Körperstrafe” verloren hat, ist nicht überliefert.

Dieser Bericht einer sadistisch-perversen eigenmächtigen Folterung einer schwangeren Frau durch einen britischen Soldaten, wurde von dem Ermittler Clement Freud im November 1946 verfasst (zu dieser Zeit selbst erst 21 Jahre jung), die auch dem vorsitzenden Präsidenten John Glendinning im Wandsbek-Prozess als Beweisstück vorgelegt wurde.

Frau K. wurde aufgrund ihrer zweiten Schwangerschaft erst am 18. März 1947 erneut verhaftet, eine Woche nach ihrer Niederkunft. Ihr Baby musste sie am darauffolgenden Tag in fremde Hände geben. Der Säugling wurde dann der Schwester der K. vorübergehend in Obhut gegeben.

Frau K. wurde im Wandsbek-Prozess bezichtigt Zwangsarbeiterinnen misshandelt zu haben. Von der Zeugin Ruth Schemmel (die zusammen mit einer Gruppe von Frauen aus dem Stammlager Neuengamme Mitte April1945 nach Wandsbek kam), wurde sie mehrfacher Vergehen belastet, obwohl die Zeugin selbst nur äußerst kurze Zeit in diesem Arbeitslager gewesen ist, und sie die einzige war, die die Beklagte überhaupt derart beschuldigte. Andere Zeugen hatten von der K. einen positiveren Eindruck. Für eine Zeugin war nicht vorstellbar, dass sie überhaupt gewalttätig sein könnte; eine weitere Zeugin attestierte der K. bei Appellen zwar, dass sie Ohrfeigen aus Gründen der Disziplin vergeben hätte, aber diese Zeugin empfand das nicht als Misshandlung. Frau K. selbst gab zu mit einem Stock oder Gummiknüppel für Ordnung in ihrem Lagerbereich gesorgt zu haben, aber auch um sich vor Übergriffen der Häftlinge zu schützen. Der Ermittler Freud, der die K. mehrfach in St. Pauli bei ihrer Freundin aufsuchte, hatte den Eindruck, dass Frau K. nicht in der mentalen Verfassung zu sein schien ein Kriegsverbrechen begangen zu haben.

Am Ende des Verfahrens wurde Frau K. freigesprochen.

Der Freispruch von Frau K. und einer weiteren Angeklagten ist entweder auf eine Reihe von Verfahrensfehler zurückzuführen, wie es der zuständige Staatsanwalt Armstrong nach dem Wandsbek-Prozess in einem offiziellen Schreiben an Lieutenant-Colonel Draper deutlich machte. Oder aber wahrscheinlicher ist es, dass der Freispruch von Frau K. im engen Zusammenhang zu der ihr widerfahrenen Misshandlung erfolgte.

Während des Prozesses machte der Rechtsanwalt von Frau K. im Kreuzverhör des britischen Ermittlers Clement Freud (ein Enkel von Siegmund Freud), der inzwischen zum Leutnant befördert worden war, auf die Misshandlung seiner Klientin durch einen britischen Ermittler aufmerksam. Offiziell hatte das angeblich auf das Verfahren jedoch keinen Einfluss. Clement Freud erzählte während seiner Befragung im Zeugenstand, dass die K. ihm von der Misshandlung durch Serjeant Dow berichtete, wovon Freud dann einen Bericht für seinen Vorgesetzten erstellte. Weiterhin erklärte der Zeuge, dass der Entlassungsschein, den die K. nach der Züchtigung durch Dow erhalten hatte, offenbar eine Fälschung war; weder ein offizieller Stempel noch ein Datum waren auf dem Dokument feststellbar.

Im Januar 1947 gebar Frau K. einen Jungen. Wenige Wochen vor der Prozesseröffnung starb das Kind.

Ob Serjeant Dow, der wegen seines eigentlichen Namens Doppelbaum vermutlich ein Emigrant aus dem deutschsprachigen Raum gewesen ist, jemals für sein abartiges Handeln juristisch belangt wurde, ist mir nicht bekannt. Die Indizien sprechen jedoch dagegen, weil Dow Anfang 1947 aus der britischen Armee entlassen wurde. Bis dahin waren offenbar keinerlei Untersuchungen gegen ihn vorgenommen worden und eine Anklage vor einem Kriegsgericht war damit nicht mehr möglich. Dow wurde lediglich disziplinarisch belangt, indem er einen Verweis erhielt, und an eine andere beaufsichtigte Dienststelle versetzt wurde. Außerdem wurde es ihm verwehrt für die Kontrollkommission für Deutschland (CCG) im zivilen Bereich tätig zu werden.

Diese furchtbare Angelegenheit wäre wahrscheinlich überhaupt nicht bekannt geworden, wenn Frau K. ihrer späteren Bekanntschaft, einem schottischen Soldaten, nicht von ihrer Tortur erzählt hätte, und dieser dann die zuständigen Behörden darüber informiert hat.

Die britische Militärjustiz beabsichtigte, nachdem diese Unsittlichkeit bekannt geworden war, Frau K. gar nicht anzuklagen. Lieutenant-Colonel Draper machte nämlich im Vorlauf des Prozesses seinem Unmut Luft, dass es insgesamt nur dürftige Beweise für ein erfolgreiches Verfahren geben würde. Hauptsächlich die Mordtaten gegen die männlichen Angeklagten hätten Aussicht auf Erfolg. Frau K. nicht anzuklagen stieß aber anscheinend auf einigen Widerstand innerhalb der Kompetenzebene der Staatsanwaltschaft. Insofern ist der Freispruch der K. aus heutiger detaillierter Sicht nicht zu beanstanden.

Noch eine letzte Anmerkung zur Schwangerschaft von Frau K. Es ist nicht eindeutig den Unterlagen zu entnehmen, ob sie während der Misshandlung tatsächlich schwanger gewesen ist. Es gibt zwar Hinweise darauf, jedoch kann es sich hierbei auch um Missverständnisse zwischen den einzelnen zuständigen Stellen gehandelt haben. In einem vertraulichen Schreiben von Brigadier Henry Shapcott vom 28.02.1947 schreibt er bzgl. der Misshandlung durch Sjt. Dow, “… and that this occurred at a time when she was eight month pregnant.” An anderer Stelle vom gleichen Tag, ebenfalls von Shapcott, schreibt er “occurred at an earlier stage of her pregnancy; …” M. E. deutet es hier in beiden Dokumenten darauf hin, dass Frau K. während ihrer Peinigungen schwanger war.

Dienstag, 21. Juni 2016

WER ist WER?

Zu manchen Kriegsverbrechern gibt es Fotos. Dadurch kann man sich einen subjektiven Eindruck einer Person machen. Meistens verbirgt sich hinter einem freundlichen Antlitz jedoch das Böse. Das war nicht nur im Nationalsozialismus der Fall, denn auch in unserer heutigen Zeit trägt so manches Schaf den Pelz eines bösen Wolfs. Naja, abgesehen davon, dass der “echte” Wolf gar nicht so böse ist, wie er immer dargestellt wird, so weiß doch jeder was damit gemeint ist.

Alle Menschen haben zwei Gesichter. Bei manchen kommt es nie zum Vorschein. Bei anderen umso mehr. Dem amerikanischen Serienmörder Ted Bundy hätte kaum jemand diese furchtbaren Taten zugetraut, die er vielen Frauen angetan hat. Er war der typische nette Mann von nebenan. Auch im Gerichtssaal verhielt sich Bundy äußerst gebildet (er verteidigte sich selbst) und stets freundlich, so daß ihm der Richter, nachdem er ihn zum Tode auf dem elektrischen Stuhl verurteilt hatte, ihm noch alles Gute für sein weiteres Leben wünschte!

Dr. Kurt Heißmeyer hatte auch so ein Gesicht. Aber sein Geist war verdorben. Für eine medizinische “Karriere” hätte er alles gegeben. Vor allem um sich zu profilieren. Die Nazis gaben ihm die Möglichkeit dazu, mit Menschen zu experimentieren, die keine Chance hatten sich dagegen zu wehren.

Ich will hier jetzt nicht das furchtbare Kapitel der Menschenversuche im KL Neuengamme darstellen. Der Journalist Günther Schwarberg hat diese Geschichte vor langer Zeit der Öffentlichkeit vor Augen geführt. Ihm ist es zu verdanken, daß es die Gedenkstätte Bullenhuser Damm überhaupt gibt. Und in der Literatur ist das auch alles ausführlich nachzulesen.

Wer aber ist dieser Heißmeyer? Ich meine damit sein Konterfei. Das Foto (Abb. 1) ist wahrscheinlich das bekannteste von ihm (oder ist er das gar nicht?). Es stammt aus einer Akte der Staatssicherheit der ehemaligen DDR.


Ein weniger bekanntes Foto, ebenfalls aus der gleichen Akte, ist die Abbildung 2. Auch das soll Herr Heißmeyer sein. Für mein Empfinden gibt es hier nicht wirklich Ähnlichkeit, oder? Schaut man sich die Gesichtszüge genauer an, so entsteht der Eindruck, dass es sich hierbei um eine ganz andere Person handelt. Oder?

In einem Artikel über Dr. Heißmeyer in einem der Neuengammer Hefte (Band 9) der Gedenkstätte Neuengamme, schreibt der Historiker Herbert Diercks einen gelungenen Bericht über das Abtauchen dieses Arztes in die SBZ; das verstecken brisanter Beweismittel seiner Menschenversuche; die unbemerkte Weiterführung als Arzt in der DDR; seine Festnahme und das Strafverfahren gegen ihn mit Schuldspruch. Alles wunderbar erzählt.

Dann aber dieses Foto (Abb. 2) das dort abgebildet ist. Kann das wirklich Kurt Heißmeyer sein? Ich denke nicht. Oder doch?


Des Foto-Rätsels Lösung

Leider ist Herr Schwarberg einem Irrtum erlegen, wenn er die Abb. 1 als Kurt Heißmeyer ausgegeben hat. Jahrzehntelang wurde also ein falsches Abbild von K. Heißmeyer verbreitet und publiziert. Offensichtlich ist die Abb. 2 der echte Kurt Heißmeyer. Abb. 1 hingegen zeigt den SS-Obergruppenführer August Heißmeyer, den Onkel des Herrn Doktor des Grauens.

STERN Titelstory Folge 5
2011 wurde die Ausstellung am Bullenhuser Damm von der Gedenkstätte Neuengamme neu konzipiert. Dazu erschien eine richtig gut gemachte kleine Broschüre. Und obwohl mindestens seit 2005 das richtige Foto von Dr. Heißmeyer bekannt ist, wurde trotzdem das falsche Foto für diese Broschüre verwendet. Das ist doch ungeheurlich!

Ein Blick in die Kurzbiografie von Kurt Heißmeyer, die in der Ausstellung zur Lager-SS bei der Gedenkstätte Neuengamme einzusehen ist (oder im Offenen Archiv runterladbar), bringt auch einige Fotos hervor. Dort ist eine Abbildung zu sehen, die Heißmeyer selbst nach Kriegsende in einer Kiste auf dem Gelände der Klinik in Hohenlychen vergraben hat. Das Foto zeigt die gleiche Person wie auch in dem bereits erwähnten Neuengamme-Heft. Sorry, aber wie blöd müssen Historiker sein, wenn sie nicht erkennen, daß es sich auf diesen beiden Fotografien um zwei vollkommen unterschiedliche Personen handelt?

Man darf gespannt sein, ob die Wissenschaft ihren Fehler eingesteht und sich dazu bekennt, dass sie einer peinlichen Verwechslung erlegen ist.


Non me pudet fateri nescire, quod nesciam
So könnte man Herrn Garbe verstehen, der mal wieder relativiert und sich keiner Verantwortung bewußt ist. Er kapiert nicht, dass es um die Seriosität der Gedenkstätte Neuengamme geht; um Glaubwürdigkeit, um Vertrauen.


Es kann niemals zwei Dr. Kurt Heißmeyer gegeben haben!

Es ist und bleibt eine Blamage, dass er sich seine eigene Unfähigkeit nicht eingestehen will, weil es sein schwächelndes Ego nicht zuläßt. Seine Stärken liegen eher in der Verunglimpfung und Diskriminierung.

Ach ja, neuerdings bezeichnet Herr Dr. Garbe die Wahrheitsfindung als Krieg gegen ihn bzw. die Gedenkstätte Neuengamme!



Hier noch die jeweils relevante Seite aus der Heißmeyer-Biografie im Offenen Archiv von 2014 und 2006. Die komplette Originaldatei gbt es hier. Denn seit kurzem (siehe unten) gibt es im Offenen Archiv (Internet) nur noch eine manipulierte Fassung ohne den Originalinhalt von Seite 6. Couragiert und angemessen wäre es doch wohl an dieser Stelle den fauxpas einzugestehen, anstatt heimlich den Seiteninhalt zu entfernen. Im Offenen Archiv Vorort wird weiterhin diese Geschichtsverfälschung betrieben.



Seite 8 (2006) mit Beschnittmarken
Seite 6 (2014)
Geschichtsverfälschung im OA


Freitag, 10. Juni 2016

Ein Foto, und seine wahre Identität

Im Ostflügel des Klinkerwerks steht seit langer Zeit eine Vitrine. Zu sehen ist dort u.a. ein Foto, das angeblich die “Modellierwerkstatt” zeigt, wo talentierte Häftlinge verschiedene Gegenstände für die SS hergestellt haben sollen.

Im Ausstellungskatalog von 2014, Band II, Seite 141 sind zwei Fotos abgebildet. Das obere Foto zeigt das gleiche wie im Klinkerwerk. Das Foto darunter soll eine angebliche “Bildhauerwerkstatt” sein. Der Text zu der Überschrift “Die Modellier- und Bildhauerwerkstatt” ist dieser: Im neuen Klinkerwerk befanden sich eine Modellier- und eine Bildhauerwerkstatt, in denen Häftlinge des KZ Neuengamme Auftragsarbeiten für die SS anfertigen mussten. Unter anderem wurden Julleuchter hergestellt, die SS-Angehörige zu besonderen Anlässen als Geschenk erhielten. Soweit die Beschreibung dieser Fotos.

Richtig ist, dass es im Klinkerwerk eine Modellierwerkstatt gegeben hat, die auch heute noch vorhanden ist, natürlich ohne Inventar. Das richtige Foto dazu ist das, welches von der Gedenkstätte Neuengamme als “Bildhauerwerksatt” bezeichnet wird (die hier angegebene Herkunft der Bildquelle ist etwas irritierend, weil es sich zweifelsfrei um eine Aufnahme der SS handelt). Ich würde das als eine etwas misslungene Beschreibung bezeichnen, denn eine “Bildhauerwerkstatt” hat es nicht gegeben. Auf dem Foto sind deutlich die zahlreichen Modellier-Drehteller zu sehen. Dort wurden ausschließlich Gegenstände aus Ton hergestellt, die in den kleineren Öfen gebrannt wurden.

Das andere Foto, welches die Gedenkstätte Neuengamme als “Modellierwerkstatt” bezeichnet, befand sich jedoch nicht im Klinkerwerk.


Eigentlich sollte man davon ausgehen, dass bei der Gedenkstätte Neuengamme Fachleute tätig sind, die mit sensiblen Feingefühl derartige Fotos analysieren. Das Hauptaugenmerk muß auf das Fenster gerichtet sein. Derartige Fenster hat es im gesamten Klinkerwerk nicht gegeben. Es kann sich hierbei nur um die von Häftlingen bezeichnete “Fürstengruft” handeln, die sich nördlich im Schutzhaftlager zwischen den Baracken 18 und 20 befand, und wo Häftlinge besondere Gegenstände hergestellt haben, wie man es auf dem Foto klar erkennen kann. Nebenbei interessant ist auch, dass es in diesem Raum eine Zentralheizung gegeben hat. Das ist nicht besonders verwunderlich, denn Häftlinge, die besondere Fähigkeiten hatten, konnten im einem KL ein besseres Leben haben als wie die meisten anderen Häftlinge. Ich verweise an dieser Stelle an die Literatur “Der Juwelier von Majdanek”.

Und nun wird’s lustig. Werfen wir einen Blick in den bereits erwähnten Ausstellungskatalog von 2014. In Band I auf Seite 181 finden wir - ja, das gibts doch nicht! - das gleiche Foto, das in Band II als Modellierwerkstatt beschrieben wird. In Band I ist es dann auf einmal eine “geheime Kommandanturtischlerei”, die so genannte “Fürstengruft”, die allerdings nicht so geheim gewesen sein kann, wenn das Tageslicht durchs Fenster scheint und jedermann hineinschauen konnte. Hmm, was soll man nun davon halten? Die rechte Hand weiß nicht was die linke macht, oder was?!

Kein Mensch ist vollkommen. Aber so etwas sollte bei einem seriösen und sensiblen Thema, und unter Berücksichtigung gebildeter und hochbezahlter Fachleute nicht geschehen.

Sonst noch Fragen?

:-o

Wenn ich schon einmal dabei bin, dann soll noch ein weiteres Foto vorgestellt werden, das noch absurder beschrieben wird, als die beiden obigen.

1997 erschien der dritte Band der Beiträge zur Geschichte der nationalsozialistischen Verfolgung in Norddeutschland, mit dem Titel Die frühen Nachkriegsprozesse. Im hinteren Teil des Buches, ab Seite 157, werden einige Fotos vorgestellt, wozu folgende einleitende Worte vermerkt werden: “1996 wurde der KZ-Gedenkstätte Neuengamme von einem Mitarbeiter der Hamburger Landesjustizverwaltung ein Fotoalbum überreicht. 50 Aufnahmen eines unbekannten Fotografen dokumentieren Gelände und Gebäude des ehemaligen Konzentrationslagers im Jahre 1948, als die Justizbehörde begann, diesen Ort des Leidens und Sterbens für den Strafvollzug zu nutzen.”

Zu diesem Zeitpunkt war das ehemalige Lager praktisch noch im Zustand vom Mai 1945 erhalten. So daß diese Fotos z.T. einen authentischen Eindruck vermitteln. Der Kommentar zu einem Foto auf Seite 164 ist allerdings ziemlicher Murks. Verantwortlich dafür zeichnet der Historiker Herbert Diercks. Die Bildunterschrift lautet: “… der Eingang in das ehemalige Schutzhaftlager und rechts die Krankenrevierbaracke 4, in der u.a. die medizinischen Versuche an den 20 Kindern durchgeführt worden waren.”


Ich weiß nicht was Herrn Diercks zu dieser Träumerei verleitet hat. Er hätte es eigentlich besser wissen müssen. Daher also jetzt die Richtigstellung zu diesem Foto. Während diese Aufnahme gemacht wurde, stand der Fotograf im so genannten “Prominentenlager”. Die beiden Steingebäude rechts haben nichts mit den Kranken-revieren zu tun, denn die waren aus Holz und befinden sich weiter vorne. Es handelt sich dabei um die Bekleidungs- und Effektenkammer. Davor ist ein kleinerer Teil der Krankenrevier-baracke 4 zu sehen. Dem links gegenüber ist die ehemalige Rapportführerstube. Gegenüber dem Krankenrevier ist ein kleiner Zipfel der Häftlingsunterkünfte Block 1-4 (Steinhaus 1) zu erkennen. Und noch weiter vorne, etwas links, befindet sich die Hauptwache mit dem Wachturm der SS.

Bei all den vielen Gebäuden, die man auf diesem einen Foto sehen kann, sollte der Baum links nicht unbemerkt bleiben - es ist die Trauerweide, die ein stiller Zeuge vieler schrecklicher Vorkommnisse geworden ist, und die auch noch heute ihr Dasein fristet.

Ich möchte nicht respektlos erscheinen, aber wenn ich als “Laie” einem Historiker erklären muß, wie seriöse Forschung praktiziert wird, dann stimmt in dem System, in diesem Fall der Kulturbehörde, etwas ganz und gar nicht! Schlußendlich ist das ja kein Einzelfall.

Samstag, 7. Mai 2016

22. Juni 1941

Der Überfall (“Unternehmen Barbarossa”) auf die Sowjetunion am 22.6.1941 durch die Deutsche Wehrmacht von vor ziemlich genau 75 Jahren, gibt eigentlich keinen Anlaß dieses Ereignis besonders hervorzuheben. So jedenfalls könnte man die Gedenkstätte Neuengamme verstehen, die es offenbar nicht für notwendig erachtet, diesem besonderen Datum und den damit verbundenen Kriegsverbrechen zu gedenken bzw. dafür eine Veranstaltung in Betracht zu ziehen. Im aktuellen Veranstaltungskalender findet sich dazu jedoch nichts. Weshalb eigentlich nicht?

Weil man für die mehr als 1000 sowjetischen kriegsgefangenen Opfer, die im KL Neuengamme zu Tode gekommen sind, keinen Respekt empfindet?

Was muss geschehen, damit nicht nur den Toten und Überlebenden der verschiedenen Nationalitäten gedacht wird, die immer wieder aufs Neue im Fokus des Gedenken zentralisiert werden? Ausgeklammert davon werden allerdings stets die sowjetischen Kriegsgefangenen. Obwohl gerade sie mit einem speziellen Status behaftet sind. Weil ein Teil von ihnen grausam ermordet wurde. Und weil sie eben nicht mit den regulären KL-Häftlingen gleichgestellt werden dürfen.

Verdient das Leid dieser Menschen keine Achtung? Bei der Gedenkstätte Neuengamme offenbar nicht.

Eine akademische Erforschung zu diesem Thema steht bis heute aus. Das Kapitel der sowjetischen Kriegsgefangenen von Neuengamme wird seit Kriegsende äußerst stiefmütterlich behandelt. Warum ist das so?

Die vielfach gepriesene Menschlichkeit gegenüber allen Opfern des KL Neuengamme findet m.E. in der Gedenkstättenarbeit von Neuengamme nicht statt.


Das ist eine Schande, mein lieber Herr Dr. Garbe!