Dienstag, 21. Juni 2016

WER ist WER?

Zu manchen Kriegsverbrechern gibt es Fotos. Dadurch kann man sich einen subjektiven Eindruck einer Person machen. Meistens verbirgt sich hinter einem freundlichen Antlitz jedoch das Böse. Das war nicht nur im Nationalsozialismus der Fall, denn auch in unserer heutigen Zeit trägt so manches Schaf den Pelz eines bösen Wolfs. Naja, abgesehen davon, dass der “echte” Wolf gar nicht so böse ist, wie er immer dargestellt wird, so weiß doch jeder was damit gemeint ist.

Alle Menschen haben zwei Gesichter. Bei manchen kommt es nie zum Vorschein. Bei anderen umso mehr. Dem amerikanischen Serienmörder Ted Bundy hätte kaum jemand diese furchtbaren Taten zugetraut, die er vielen Frauen angetan hat. Er war der typische nette Mann von nebenan. Auch im Gerichtssaal verhielt sich Bundy äußerst gebildet (er verteidigte sich selbst) und stets freundlich, so daß ihm der Richter, nachdem er ihn zum Tode auf dem elektrischen Stuhl verurteilt hatte, ihm noch alles Gute für sein weiteres Leben wünschte!

Dr. Kurt Heißmeyer hatte auch so ein Gesicht. Aber sein Geist war verdorben. Für eine medizinische “Karriere” hätte er alles gegeben. Vor allem um sich zu profilieren. Die Nazis gaben ihm die Möglichkeit dazu, mit Menschen zu experimentieren, die keine Chance hatten sich dagegen zu wehren.

Ich will hier jetzt nicht das furchtbare Kapitel der Menschenversuche im KL Neuengamme darstellen. Der Journalist Günther Schwarberg hat diese Geschichte vor langer Zeit der Öffentlichkeit vor Augen geführt. Ihm ist es zu verdanken, daß es die Gedenkstätte Bullenhuser Damm überhaupt gibt. Und in der Literatur ist das auch alles ausführlich nachzulesen.

Wer aber ist dieser Heißmeyer? Ich meine damit sein Konterfei. Das Foto (Abb. 1) ist wahrscheinlich das bekannteste von ihm (oder ist er das gar nicht?). Es stammt aus einer Akte der Staatssicherheit der ehemaligen DDR.


Ein weniger bekanntes Foto, ebenfalls aus der gleichen Akte, ist die Abbildung 2. Auch das soll Herr Heißmeyer sein. Für mein Empfinden gibt es hier nicht wirklich Ähnlichkeit, oder? Schaut man sich die Gesichtszüge genauer an, so entsteht der Eindruck, dass es sich hierbei um eine ganz andere Person handelt. Oder?

In einem Artikel über Dr. Heißmeyer in einem der Neuengammer Hefte (Band 9) der Gedenkstätte Neuengamme, schreibt der Historiker Herbert Diercks einen gelungenen Bericht über das Abtauchen dieses Arztes in die SBZ; das verstecken brisanter Beweismittel seiner Menschenversuche; die unbemerkte Weiterführung als Arzt in der DDR; seine Festnahme und das Strafverfahren gegen ihn mit Schuldspruch. Alles wunderbar erzählt.

Dann aber dieses Foto (Abb. 2) das dort abgebildet ist. Kann das wirklich Kurt Heißmeyer sein? Ich denke nicht. Oder doch?


Des Foto-Rätsels Lösung

Leider ist Herr Schwarberg einem Irrtum erlegen, wenn er die Abb. 1 als Kurt Heißmeyer ausgegeben hat. Jahrzehntelang wurde also ein falsches Abbild von K. Heißmeyer verbreitet und publiziert. Offensichtlich ist die Abb. 2 der echte Kurt Heißmeyer. Abb. 1 hingegen zeigt den SS-Obergruppenführer August Heißmeyer, den Onkel des Herrn Doktor des Grauens.

STERN Titelstory Folge 5
2011 wurde die Ausstellung am Bullenhuser Damm von der Gedenkstätte Neuengamme neu konzipiert. Dazu erschien eine richtig gut gemachte kleine Broschüre. Und obwohl mindestens seit 2005 das richtige Foto von Dr. Heißmeyer bekannt ist, wurde trotzdem das falsche Foto für diese Broschüre verwendet. Das ist doch ungeheurlich!

Ein Blick in die Kurzbiografie von Kurt Heißmeyer, die in der Ausstellung zur Lager-SS bei der Gedenkstätte Neuengamme einzusehen ist (oder im Offenen Archiv runterladbar), bringt auch einige Fotos hervor. Dort ist eine Abbildung zu sehen, die Heißmeyer selbst nach Kriegsende in einer Kiste auf dem Gelände der Klinik in Hohenlychen vergraben hat. Das Foto zeigt die gleiche Person wie auch in dem bereits erwähnten Neuengamme-Heft. Sorry, aber wie blöd müssen Historiker sein, wenn sie nicht erkennen, daß es sich auf diesen beiden Fotografien um zwei vollkommen unterschiedliche Personen handelt?

Man darf gespannt sein, ob die Wissenschaft ihren Fehler eingesteht und sich dazu bekennt, dass sie einer peinlichen Verwechslung erlegen ist.


Non me pudet fateri nescire, quod nesciam
So könnte man Herrn Garbe verstehen, der mal wieder relativiert und sich keiner Verantwortung bewußt ist. Er kapiert nicht, dass es um die Seriosität der Gedenkstätte Neuengamme geht; um Glaubwürdigkeit, um Vertrauen.


Es kann niemals zwei Dr. Kurt Heißmeyer gegeben haben!

Es ist und bleibt eine Blamage, dass er sich seine eigene Unfähigkeit nicht eingestehen will, weil es sein schwächelndes Ego nicht zuläßt. Seine Stärken liegen eher in der Verunglimpfung und Diskriminierung.

Ach ja, neuerdings bezeichnet Herr Dr. Garbe die Wahrheitsfindung als Krieg gegen ihn bzw. die Gedenkstätte Neuengamme!



Hier noch die jeweils relevante Seite aus der Heißmeyer-Biografie im Offenen Archiv von 2014 und 2006. Die komplette Originaldatei gbt es hier. Denn seit kurzem (siehe unten) gibt es im Offenen Archiv (Internet) nur noch eine manipulierte Fassung ohne den Originalinhalt von Seite 6. Couragiert und angemessen wäre es doch wohl an dieser Stelle den fauxpas einzugestehen, anstatt heimlich den Seiteninhalt zu entfernen. Im Offenen Archiv Vorort wird weiterhin diese Geschichtsverfälschung betrieben.



Seite 8 (2006) mit Beschnittmarken
Seite 6 (2014)
Geschichtsverfälschung im OA


Freitag, 10. Juni 2016

Ein Foto, und seine wahre Identität

Im Ostflügel des Klinkerwerks steht seit langer Zeit eine Vitrine. Zu sehen ist dort u.a. ein Foto, das angeblich die “Modellierwerkstatt” zeigt, wo talentierte Häftlinge verschiedene Gegenstände für die SS hergestellt haben sollen.

Im Ausstellungskatalog von 2014, Band II, Seite 141 sind zwei Fotos abgebildet. Das obere Foto zeigt das gleiche wie im Klinkerwerk. Das Foto darunter soll eine angebliche “Bildhauerwerkstatt” sein. Der Text zu der Überschrift “Die Modellier- und Bildhauerwerkstatt” ist dieser: Im neuen Klinkerwerk befanden sich eine Modellier- und eine Bildhauerwerkstatt, in denen Häftlinge des KZ Neuengamme Auftragsarbeiten für die SS anfertigen mussten. Unter anderem wurden Julleuchter hergestellt, die SS-Angehörige zu besonderen Anlässen als Geschenk erhielten. Soweit die Beschreibung dieser Fotos.

Richtig ist, dass es im Klinkerwerk eine Modellierwerkstatt gegeben hat, die auch heute noch vorhanden ist, natürlich ohne Inventar. Das richtige Foto dazu ist das, welches von der Gedenkstätte Neuengamme als “Bildhauerwerksatt” bezeichnet wird (die hier angegebene Herkunft der Bildquelle ist etwas irritierend, weil es sich zweifelsfrei um eine Aufnahme der SS handelt). Ich würde das als eine etwas misslungene Beschreibung bezeichnen, denn eine “Bildhauerwerkstatt” hat es nicht gegeben. Auf dem Foto sind deutlich die zahlreichen Modellier-Drehteller zu sehen. Dort wurden ausschließlich Gegenstände aus Ton hergestellt, die in den kleineren Öfen gebrannt wurden.

Das andere Foto, welches die Gedenkstätte Neuengamme als “Modellierwerkstatt” bezeichnet, befand sich jedoch nicht im Klinkerwerk.


Eigentlich sollte man davon ausgehen, dass bei der Gedenkstätte Neuengamme Fachleute tätig sind, die mit sensiblen Feingefühl derartige Fotos analysieren. Das Hauptaugenmerk muß auf das Fenster gerichtet sein. Derartige Fenster hat es im gesamten Klinkerwerk nicht gegeben. Es kann sich hierbei nur um die von Häftlingen bezeichnete “Fürstengruft” handeln, die sich nördlich im Schutzhaftlager zwischen den Baracken 18 und 20 befand, und wo Häftlinge besondere Gegenstände hergestellt haben, wie man es auf dem Foto klar erkennen kann. Nebenbei interessant ist auch, dass es in diesem Raum eine Zentralheizung gegeben hat. Das ist nicht besonders verwunderlich, denn Häftlinge, die besondere Fähigkeiten hatten, konnten im einem KL ein besseres Leben haben als wie die meisten anderen Häftlinge. Ich verweise an dieser Stelle an die Literatur “Der Juwelier von Majdanek”.

Und nun wird’s lustig. Werfen wir einen Blick in den bereits erwähnten Ausstellungskatalog von 2014. In Band I auf Seite 181 finden wir - ja, das gibts doch nicht! - das gleiche Foto, das in Band II als Modellierwerkstatt beschrieben wird. In Band I ist es dann auf einmal eine “geheime Kommandanturtischlerei”, die so genannte “Fürstengruft”, die allerdings nicht so geheim gewesen sein kann, wenn das Tageslicht durchs Fenster scheint und jedermann hineinschauen konnte. Hmm, was soll man nun davon halten? Die rechte Hand weiß nicht was die linke macht, oder was?!

Kein Mensch ist vollkommen. Aber so etwas sollte bei einem seriösen und sensiblen Thema, und unter Berücksichtigung gebildeter und hochbezahlter Fachleute nicht geschehen.

Sonst noch Fragen?

:-o

Wenn ich schon einmal dabei bin, dann soll noch ein weiteres Foto vorgestellt werden, das noch absurder beschrieben wird, als die beiden obigen.

1997 erschien der dritte Band der Beiträge zur Geschichte der nationalsozialistischen Verfolgung in Norddeutschland, mit dem Titel Die frühen Nachkriegsprozesse. Im hinteren Teil des Buches, ab Seite 157, werden einige Fotos vorgestellt, wozu folgende einleitende Worte vermerkt werden: “1996 wurde der KZ-Gedenkstätte Neuengamme von einem Mitarbeiter der Hamburger Landesjustizverwaltung ein Fotoalbum überreicht. 50 Aufnahmen eines unbekannten Fotografen dokumentieren Gelände und Gebäude des ehemaligen Konzentrationslagers im Jahre 1948, als die Justizbehörde begann, diesen Ort des Leidens und Sterbens für den Strafvollzug zu nutzen.”

Zu diesem Zeitpunkt war das ehemalige Lager praktisch noch im Zustand vom Mai 1945 erhalten. So daß diese Fotos z.T. einen authentischen Eindruck vermitteln. Der Kommentar zu einem Foto auf Seite 164 ist allerdings ziemlicher Murks. Verantwortlich dafür zeichnet der Historiker Herbert Diercks. Die Bildunterschrift lautet: “… der Eingang in das ehemalige Schutzhaftlager und rechts die Krankenrevierbaracke 4, in der u.a. die medizinischen Versuche an den 20 Kindern durchgeführt worden waren.”


Ich weiß nicht was Herrn Diercks zu dieser Träumerei verleitet hat. Er hätte es eigentlich besser wissen müssen. Daher also jetzt die Richtigstellung zu diesem Foto. Während diese Aufnahme gemacht wurde, stand der Fotograf im so genannten “Prominentenlager”. Die beiden Steingebäude rechts haben nichts mit den Kranken-revieren zu tun, denn die waren aus Holz und befinden sich weiter vorne. Es handelt sich dabei um die Bekleidungs- und Effektenkammer. Davor ist ein kleinerer Teil der Krankenrevier-baracke 4 zu sehen. Dem links gegenüber ist die ehemalige Rapportführerstube. Gegenüber dem Krankenrevier ist ein kleiner Zipfel der Häftlingsunterkünfte Block 1-4 (Steinhaus 1) zu erkennen. Und noch weiter vorne, etwas links, befindet sich die Hauptwache mit dem Wachturm der SS.

Bei all den vielen Gebäuden, die man auf diesem einen Foto sehen kann, sollte der Baum links nicht unbemerkt bleiben - es ist die Trauerweide, die ein stiller Zeuge vieler schrecklicher Vorkommnisse geworden ist, und die auch noch heute ihr Dasein fristet.

Ich möchte nicht respektlos erscheinen, aber wenn ich als “Laie” einem Historiker erklären muß, wie seriöse Forschung praktiziert wird, dann stimmt in dem System, in diesem Fall der Kulturbehörde, etwas ganz und gar nicht! Schlußendlich ist das ja kein Einzelfall.