Freitag, 10. Juni 2016

Ein Foto, und seine wahre Identität

Im Ostflügel des Klinkerwerks steht seit langer Zeit eine Vitrine. Zu sehen ist dort u.a. ein Foto, das angeblich die “Modellierwerkstatt” zeigt, wo talentierte Häftlinge verschiedene Gegenstände für die SS hergestellt haben sollen.

Im Ausstellungskatalog von 2014, Band II, Seite 141 sind zwei Fotos abgebildet. Das obere Foto zeigt das gleiche wie im Klinkerwerk. Das Foto darunter soll eine angebliche “Bildhauerwerkstatt” sein. Der Text zu der Überschrift “Die Modellier- und Bildhauerwerkstatt” ist dieser: Im neuen Klinkerwerk befanden sich eine Modellier- und eine Bildhauerwerkstatt, in denen Häftlinge des KZ Neuengamme Auftragsarbeiten für die SS anfertigen mussten. Unter anderem wurden Julleuchter hergestellt, die SS-Angehörige zu besonderen Anlässen als Geschenk erhielten. Soweit die Beschreibung dieser Fotos.

Richtig ist, dass es im Klinkerwerk eine Modellierwerkstatt gegeben hat, die auch heute noch vorhanden ist, natürlich ohne Inventar. Das richtige Foto dazu ist das, welches von der Gedenkstätte Neuengamme als “Bildhauerwerksatt” bezeichnet wird (die hier angegebene Herkunft der Bildquelle ist etwas irritierend, weil es sich zweifelsfrei um eine Aufnahme der SS handelt). Ich würde das als eine etwas misslungene Beschreibung bezeichnen, denn eine “Bildhauerwerkstatt” hat es nicht gegeben. Auf dem Foto sind deutlich die zahlreichen Modellier-Drehteller zu sehen. Dort wurden ausschließlich Gegenstände aus Ton hergestellt, die in den kleineren Öfen gebrannt wurden.

Das andere Foto, welches die Gedenkstätte Neuengamme als “Modellierwerkstatt” bezeichnet, befand sich jedoch nicht im Klinkerwerk.


Eigentlich sollte man davon ausgehen, dass bei der Gedenkstätte Neuengamme Fachleute tätig sind, die mit sensiblen Feingefühl derartige Fotos analysieren. Das Hauptaugenmerk muß auf das Fenster gerichtet sein. Derartige Fenster hat es im gesamten Klinkerwerk nicht gegeben. Es kann sich hierbei nur um die von Häftlingen bezeichnete “Fürstengruft” handeln, die sich nördlich im Schutzhaftlager zwischen den Baracken 18 und 20 befand, und wo Häftlinge besondere Gegenstände hergestellt haben, wie man es auf dem Foto klar erkennen kann. Nebenbei interessant ist auch, dass es in diesem Raum eine Zentralheizung gegeben hat. Das ist nicht besonders verwunderlich, denn Häftlinge, die besondere Fähigkeiten hatten, konnten im einem KL ein besseres Leben haben als wie die meisten anderen Häftlinge. Ich verweise an dieser Stelle an die Literatur “Der Juwelier von Majdanek”.

Und nun wird’s lustig. Werfen wir einen Blick in den bereits erwähnten Ausstellungskatalog von 2014. In Band I auf Seite 181 finden wir - ja, das gibts doch nicht! - das gleiche Foto, das in Band II als Modellierwerkstatt beschrieben wird. In Band I ist es dann auf einmal eine “geheime Kommandanturtischlerei”, die so genannte “Fürstengruft”, die allerdings nicht so geheim gewesen sein kann, wenn das Tageslicht durchs Fenster scheint und jedermann hineinschauen konnte. Hmm, was soll man nun davon halten? Die rechte Hand weiß nicht was die linke macht, oder was?!

Kein Mensch ist vollkommen. Aber so etwas sollte bei einem seriösen und sensiblen Thema, und unter Berücksichtigung gebildeter und hochbezahlter Fachleute nicht geschehen.

Sonst noch Fragen?

:-o

Wenn ich schon einmal dabei bin, dann soll noch ein weiteres Foto vorgestellt werden, das noch absurder beschrieben wird, als die beiden obigen.

1997 erschien der dritte Band der Beiträge zur Geschichte der nationalsozialistischen Verfolgung in Norddeutschland, mit dem Titel Die frühen Nachkriegsprozesse. Im hinteren Teil des Buches, ab Seite 157, werden einige Fotos vorgestellt, wozu folgende einleitende Worte vermerkt werden: “1996 wurde der KZ-Gedenkstätte Neuengamme von einem Mitarbeiter der Hamburger Landesjustizverwaltung ein Fotoalbum überreicht. 50 Aufnahmen eines unbekannten Fotografen dokumentieren Gelände und Gebäude des ehemaligen Konzentrationslagers im Jahre 1948, als die Justizbehörde begann, diesen Ort des Leidens und Sterbens für den Strafvollzug zu nutzen.”

Zu diesem Zeitpunkt war das ehemalige Lager praktisch noch im Zustand vom Mai 1945 erhalten. So daß diese Fotos z.T. einen authentischen Eindruck vermitteln. Der Kommentar zu einem Foto auf Seite 164 ist allerdings ziemlicher Murks. Verantwortlich dafür zeichnet der Historiker Herbert Diercks. Die Bildunterschrift lautet: “… der Eingang in das ehemalige Schutzhaftlager und rechts die Krankenrevierbaracke 4, in der u.a. die medizinischen Versuche an den 20 Kindern durchgeführt worden waren.”


Ich weiß nicht was Herrn Diercks zu dieser Träumerei verleitet hat. Er hätte es eigentlich besser wissen müssen. Daher also jetzt die Richtigstellung zu diesem Foto. Während diese Aufnahme gemacht wurde, stand der Fotograf im so genannten “Prominentenlager”. Die beiden Steingebäude rechts haben nichts mit den Kranken-revieren zu tun, denn die waren aus Holz und befinden sich weiter vorne. Es handelt sich dabei um die Bekleidungs- und Effektenkammer. Davor ist ein kleinerer Teil der Krankenrevier-baracke 4 zu sehen. Dem links gegenüber ist die ehemalige Rapportführerstube. Gegenüber dem Krankenrevier ist ein kleiner Zipfel der Häftlingsunterkünfte Block 1-4 (Steinhaus 1) zu erkennen. Und noch weiter vorne, etwas links, befindet sich die Hauptwache mit dem Wachturm der SS.

Bei all den vielen Gebäuden, die man auf diesem einen Foto sehen kann, sollte der Baum links nicht unbemerkt bleiben - es ist die Trauerweide, die ein stiller Zeuge vieler schrecklicher Vorkommnisse geworden ist, und die auch noch heute ihr Dasein fristet.

Ich möchte nicht respektlos erscheinen, aber wenn ich als “Laie” einem Historiker erklären muß, wie seriöse Forschung praktiziert wird, dann stimmt in dem System, in diesem Fall der Kulturbehörde, etwas ganz und gar nicht! Schlußendlich ist das ja kein Einzelfall.

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