Donnerstag, 7. Januar 2016

«Tull» Harder - Der aufrechte Deutsche?

In Anbetracht der Rathausausstellung ab dem 14.1.2016 mit dem Thema «Hamburger Fußball im Nationalsozialismus», darf natürlich der Name des deutschen Fußballs jener Zeit nicht fehlen, von dem jahrzehntelang angenommen wurde, er habe sich nichts zu schulden kommen lassen, schon gar nicht während seiner aktiven Zeit als SS-Mann im Konzentrationslager Neuengamme. Diese verblendete Sichtweise ist vor allem darauf zurückzuführen, dass die Aufarbeitung der NS-Verbrechen in Deutschland lange Zeit verdrängt und viel zu spät aufgearbeitet worden ist. Dadurch ist dieses heldenhafte Epos entstanden, an dem so einige heute immer noch festhalten wollen. 

Da ich davon ausgehe, dass die Gedenkstätte Neuengamme diese Person nicht ausführlich thematisieren wird, ist hier nun ist die ganze wahre Geschichte.



Unter den im Konzentrationslager Neuengamme eingesetzten SS-Männern befand sich auch ein «Prominenter», insofern man einen Fußballspieler als prominent bezeichnen kann, der heute im Bewußtsein der Hamburger kaum noch präsent ist.

Otto, genannt «Tull» [1], wie er sich gerne selbst vorstellte, hatte eine beachtliche sportliche Karriere hinter sich gebracht, mit einigen nationalen und internationalen Titeln. Von seinen Sportskameraden wurde ihm immer wieder ein faires Verhalten auf dem Fußballplatz attestiert. Die Karrieren von Sportlern sind in der Regel verhältnismäßig kurz, diese Tatsache mußte Harder auch für sich erkennen, und damit konnte er sich nur schwerlich anfreunden. Seine zivile Tätigkeit als selbständiger Versicherungsmakler schien ihn nicht auszufüllen. Der Erfolg seiner sportlichen Karriere hatte ihn süchtig gemacht, und das sollte für immer vorbei sein?
Denkste! Die Zeichen der Zeit waren längst gestellt. Die nationalsozialistische Bewegung ging an Hamburg nicht vorbei, und schon gar nicht an Harder. So daß er bereits vor der Machtergreifung der NSDAP in diese Partei eintrat, das war im Spätsommer 1932. Wenige Monate später wurde er Mitglied im Schwarzen Korps - der Schutzstaffel der NSDAP [2].

Otto Harder war 1914 freiwillig in den 1. Weltkrieg eingetreten, als bekennender Nationalist war er das Deutschland schuldig. Und sein Tatendrang brachte ihn militärisch immerhin weiter, als diesen aus Österreich stammenden Gefreiten, der später ganz Europa in seinen Bann und damit in sein Verderben führen sollte. Am Ende des Krieges war Harder Unteroffizier, ausgezeichnet mit dem Eisernen Kreuz 1. und 2. Klasse. Ein erfolgreicher Soldat auf der ganzen Linie.

An diese Zeit muß sich der «lange Lulatsch» Harder erinnert haben, als er der SS beitrat. Inzwischen war er vierzig Jahre alt, nicht unbedingt das Alter, welches von der Bürokratie der SS gefordert wurde, aber Harder konnte man propagandistisch für sich nutzen, und sein Alter spielte daher keine Rolle.

Zu dieser Zeit, zu Beginn der 30er Jahre, war eine Mitgliedschaft in der SS für viele junge Männer verlockend, aufgrund der Schmach des verlorenen 1. Weltkriegs und den damit verbundenen Repressalien; diese Männer wollten auf jeden Fall dabei sein, falls es nötig sein sollte Deutschland wieder Ansehen und Charakter zu verleihen. So oder ähnlich hat wohl auch der Harder getickt. Aber die Jahre bis zum Ausbruch des 2. Weltkriegs bestanden hauptsächlich darin, die Schutzstaffel bei Aufmärschen oder Kundgebungen zu repräsentieren, was ja auch ihre eigentliche Funktion in dieser Zeit gewesen ist. Dann aber deutete sich das an, was viele Menschen in Deutschland und anderenorts bereits befürchtet hatten - der 2. Weltkrieg stand unmittelbar bevor. Und endlich, Harder konnte jetzt wieder etwas tun, für sich selbst und natürlich für sein faschistisches Heimatland. Nach eigener Aussage sei er Ende August 1939 zur Waffen-SS eingezogen worden. Die unbelegbaren Fakten dürften sich aber anders darstellen. Als langjähriges Mitglied der Allgemeinen SS hat Harder sich natürlich wieder freiwillig zum Krieg gemeldet, und kam so in das 1936 errichtete Konzentrationslager Oranienburg (Sachsenhausen). Das Harder behauptet hat, er wäre in die Waffen-SS eingezogen worden, ist unsinnig, weil es die zu diesem Termin noch gar nicht gab, jedenfalls nicht offiziell [3], außerdem war der Dienst in der SS und später auch in der Waffen-SS bis 1943 freiwillig. Und er war fast 48 Jahre alt. Zu diesem Zeitpunkt wurden solche «alten Säcke» für den Krieg kaum herangezogen, aber durchaus für den Dienst in einem KL. Dass Harder von der Waffen-SS gesprochen hat, mag mit seiner langjährigen Tätigkeit in den KLs zu tun gehabt haben, denn die Konzentrationslager wurden mit Kriegsausbruch Sache der Waffen-SS, und dieses latente Bewußtsein hat bei Harder ganz offensichtlich eine Rolle gespielt [4]. Weiterhin hat Harder später, während seiner Internierungshaft, zu Protokoll gegeben, er wäre nach wenigen Wochen im KL Oranienburg bereits zum Rottenführer befördert worden. Das wird auch so gewesen sein. Was aber hat der Mann getan, daß er so schnell befördert wurde? War das ein Prominenten-Bonus? Während seiner untätigen Zeit in der Allgemeinen SS hatte er es bis zum Unterscharführer gebracht, oder anders gesagt, das waren obligatorische Beförderungen in einem Zeitraum von sechs Jahren. Die SS brauchte «Führer», mit ranglosen SS-Männern konnte man nicht viel anfangen. Das galt jetzt aber nicht mehr. Jetzt begann ein neues Kapitel für Harder, d.h. er fing wieder ganz unten an. Aber, wie sich zeigen wird, benötigte er für seine strebsame Karriere bis zum Offizier diesmal nicht besonders lange. Woran das wohl gelegen haben mag?

Bereits Anfang November 1939 kam Harder nach Neuengamme; nach eigenen Angaben soll es sein Wunsch gewesen sein, in die Nähe von Hamburg dienstversetzt zu werden. Das Lager existierte zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Seine Tätigkeit dort bezeichnete er dann auch selbst als Wachdienst. Nachdem das KL Neuengamme schrittweise von Häftlingen errichtet wurde und im Juni 1940 zum eigenständigen Lager deklariert wurde, bekam Harder einen Arbeitsplatz in der Verwaltung der Kommandantur des KL Neuengamme. Seine Tätigkeit hatte nichts mit den Häftlingen bzw. mit dem Schutzhaftlager zu tun. Nichtsdestotrotz wurde er kontinuierlich befördert. Nachdem Max Pauly seinen Dienst im Spätsommer 1942 in Neuengamme als Kommandant angetreten hatte, beförderte er Harder Anfang 1943 zum Hauptscharführer. So hatte Harder sich das vorgestellt. Die erfolgreiche Linie seines Lebens setzte sich auch im totalitären System der Nationalsozialisten fort. Entsprechend seinem Naturell hat er wesentlich dazu beigetragen, daß er diese Karriereleiter emporgestiegen ist. Denn von nichts kommt bekanntlich auch nichts. Ob ihm das aber ausgereicht hat ist fraglich. Zunächst jedenfalls war mit Beförderungen Schluß. Im damaligen Nazideutschland war bekanntermaßen einiges anders als heutzutage. Wer Offizier bei der Bundeswehr werden will braucht Abitur, ansonsten muß man sich mit dem Rang eines Hauptfeldwebels zufrieden geben. Damals spielte das keine Geige. Entscheidend war der Wille. Wo ein Wille ist, da ist auch ein Weg.

Otto Harder hat in einem Brief, während seiner Mindener Haft, auch sein Buch erwähnt, «Tull Harder stürmt für Deutschlands Fußballruhm» [5]. Der Stolz in seinen Worten ist unmißverständlich: «…30000 Exemplare waren sofort bestellt und ausverkauft. Weitere Bücher konnten infolge der Papierknappheit nicht gedruckt werden.» Es ist zum einen die ruhmreiche Geschichte des Fußballers Tull Harder, der seine großen Erfolge in den 1920er Jahren feiern konnte; zum anderen ist der Titel dieses 1942 erschienenen Buches eine Metapher. Die NS-Propaganda verstand es, das einstige Idol der deutschen Jugend für sich zu instrumentalisieren, so wie sie es auch gegen Kriegsende mit Veit Harlans Film «Kolberg» versucht hatten. Der Tenor ist auch hier mehr als deutlich: Die jungen deutschen Männer sollten ihm nacheifern. Ein Draufgänger der den ersten Weltkrieg kraft seines ganzen Einsatzes überlebt hat und dafür mehrfach ausgezeichnet worden ist (dieses Kapitel wird im Buch sehr ausführlich dargestellt, wenn auch in einer glorifizierenden Dramaturgie). Ein Mann, für den nur der Erfolg einen Wert hatte. Und selbst nach Beendigung seiner sportlichen Laufbahn verwertete er sich weiterhin für sein geliebtes Deutschland. Kein Wenn, kein Aber. Am Ende des Buches philosophiert der Autor Fritz Peters zur Charakterisierung Harders: «Nein, er hat nichts zu bereuen. Er hat es richtig gemacht. Er sieht die Fahne des neuen Reiches wehen. Er sieht eine stolze, starke Jugend. Das da, die Fahne und die Jugend, ist das Glück! Das ist die Erfüllung! Das ist Deutschland!»

Dass dieses Buch zu einem Zeitpunkt erschienen ist, als Harder seine sportliche Karriere bereits fünfzehn Jahre hinter ihm lag, hat nur den einzigen Grund, daß er das Trikot des HSV für die Uniform der Waffen-SS getauscht hatte, und damit war Harder das symbolische Aushängeschild, das mit der Aufforderung an die Jugend verbunden war, es ihm gleich zu tun.

Seine Tätigkeit 1942 im Konzentrationslager Neuengamme wird im Buch mit keiner Silbe erwähnt. Angesprochen wird lediglich, daß er als uniformierter Oberscharführer der Waffen-SS bei größeren Spielen des HSV im Stadion anwesend war. Sofern das der Wahrheit entsprechen sollte, dann dürfte auch das eine propagandistische Zurschaustellung gewesen sein, ganz im Sinne des fettgedruckten Teils des Buchtitels: «Tull Harder stürmt».

Im Sommer 1944 wurde Harder als Kommandoführer zu einem Außenlager des KL Neuengamme nach Hannover-Stöcken versetzt. Was mag der Grund gewesen sein, daß man einem Bürokraten der Kommandantur Neuengamme ein Kommando anvertraute, der gar keine Qualifizierung für eine derartige Tätigkeit vorweisen konnte? War es Harder selbst, der diese Arbeit machen wollte, um in der KL-Hierarchie weiter voranzukommen? Oder sollte er sich damit für eine «Offizierslaufbahn» qualifizieren?

In Hannover machte er dann Bekanntschaft mit dem Leid und Elend von Zwangsarbeitern. Nur wenige Zeit später fand er sich dann ab Dezember 1944 als Lagerführer in Hannover-Ahlem wieder. Dieses Arbeitslager war verhältnismäßig klein und überschaubar. Die polnischen Juden mußten dort unterirdische Stollen ausheben für die Rüstungsindustrie. In Harders Arbeitslager ging aber einiges nicht mit rechten Dingen zu. Das hatte vor allem damit zu tun, daß Harder null Interesse an dem Lagerleben der Häftlinge zeigte. Diese Tatsache brachte Otto Harder 1946 und 1947 vor britischen Militärgerichten in Schwulitäten. Er konnte nämlich nicht erklären, daß er von all dem Terror in seinem Arbeitslager nichts mitbekommen hat. Ein deutscher Kapo namens Heinrich Wexler (Hans genannt; 34 Jahre alt) und ein ehemaliger Gärtner namens Wilhelm Dammann (ebenfalls 34 Jahre alt), Rapportführer im Rang eines Rottenführers, hatten das Sagen im Lager und terrorisierten die Häftlinge nach Gutdünken. Harder gab sich lieber die Kante, um von diesen Verbrechen bloß nichts mitzubekommen. Einem aber gefiel das überhaupt nicht. Der Spieß Hans Harden, von der Wehrmacht überstellt, 50 Jahre alt und damit etwa im gleichen Alter wie Harder, platzte der Kragen als er Harder wieder besoffen im Lager antraf. In einem Brief an seine Frau schrieb Harden, daß der Lagerführer sich nur für sich selbst und seine Leute interessiert, aber für die Häftlinge würde er nichts tun. Als Harden das dem Lagerführer an den Kopf warf, soll der ganz klein mit Hut geworden sein. Trotz allem wurde Harder am 31. Januar 1945 zum Untersturmführer befördert. Er war jetzt Offizier, und das ohne jemals eine Junkerschule von innen gesehen zu haben. Max Pauly muß mit der Arbeit von Harder sehr zufrieden gewesen sein, daß er ihn für eine Beförderung vorgeschlagen hat, die dann auch angenommen wurde. Wieder ein Bonus? Ohne aber eine angemessene Ausbildung als Junker erhalten zu haben, war Harder mit den katastrophalen Zuständen in Ahlem vollkommen überfordert. Nachdem das Lager geschlossen wurde, war Harder noch kurze Zeit in Uelzen tätig, bis er sich dann mit anderen Schergen nach Schleswig-Holstein absetzte. Am 9. Mai 1945 wurde er von den «Tommys» verhaftet.

Otto Harder verbrachte neun Monate im Internierungslager Neumünster, bis er dann im Februar 1946 von dort entlassen wurde. Der Grund für seine Entlassung ist nicht nachvollziehbar. Zwar litt Harder schon seit längerem unter einem Magenleiden, aber das kann nicht der Grund für die Entlassung gewesen sein. Harder war Mitglied der SS, der NSDAP, er war Offizier, und damit galt für ihn der so genannte «Automatic Arrest», und als Führer eines KL-Arbeitslagers hätte er nicht entlassen werden dürfen bis seine Verantwortlichkeit dafür geklärt worden war. Aber das dicke Ende sollte erst noch kommen.

Der Hauptprozeß gegen vierzehn Angehörige der Kommandantur des Konzentrationslagers Neuengamme begann im März 1946 im Curiohaus in Hamburg, in der Nähe von dem Sportplatz, wo Harder einst für den Hamburger SV kickte. Max Pauly und sein Anwalt Dr. Wessig waren offenbar der Meinung, daß Otto Harder ein guter Entlastungszeuge für ihn wäre. Und so erschien Harder am Donnerstag den 4. April 1946 voller Stolz und einer gewissen Arroganz im Gerichtssaal dieser morgendlichen Sitzung als Zeuge. Ein schlechter Zeuge wie sich dann herausstellte. Meine Name ist Harder-ich weiß von nichts, war das Ergebnis seiner Befragung [6]. Harder machte einen derart dümmlichen Eindruck auf das Gericht, daß der Staatsanwalt Major Stewart offenbar so erbost über diesen Zeugen war, daß er dessen sofortige Verhaftung veranlaßte.

Ein britischer Offizier, der zur Abteilung «Haystack» gehörte, wurde beauftragt Harder in seinem Zuhause in Bendestorf, südlich von Harburg, aufzusuchen. Als der Captain an der Tür klingelte öffnete ihm Frau Harder. Der Offizier verschaffte sich unter einem Vorwand Zutritt ins Haus. Er sei selbst ein begeisterter Fußballfan und wollte gerne Tull Harder kennenlernen. Seine Frau mußte aber sagen, daß ihr Mann zur Zeit nicht da wäre. Aber die beiden unterhielten sich dennoch angeregt und Frau Harder soll dem britischen Offizier gegenüber sehr freundlich aufgetreten sein. Einige Zeit später verabschiedete sich der Engländer von Frau Harder um die Bushaltestelle zu beobachten an der Tull Harder ankommen sollte. Das geschah auch. Der Offizier ging zurück zum Hause Harder und traf ihn dort im Garten an. Beide unterhielten sich über Fußball, die SS und das Harder froh sei, endlich wieder in Freiheit zu sein und das damit wohl auch seine Unschuldigkeit geklärt wäre. Der britische Captain Park hatte später einen Bericht angefertigt, in dem er zum Ausdruck brachte, daß wenn er nicht gewußt hätte, daß Harder eines Kriegsverbrechens bezichtigt würde, er nicht verstehen könnte warum dieser ältere, freundliche Herr dafür verantwortlich sein sollte. So aber mußte dieser Captain Otto Harder klarmachen, daß er erneut verhaftet sei. Er wurde zunächst wieder nach Neumünster gebracht, und dann in das Internierungslager Nr. 7 nach Hemer überstellt, ein ehemaliges Stalag für Kriegsgefangene. Als dieses Lager im September 1946 aufgelöst wurde, kamen alle Insassen in das Internierungslager Eselheide bei Paderborn (weiterhin CIC Nr. 7), auch ein ehemaliges Stalag (326 Senne) [7]. Hier machte Harder am 4.12.1946 eine weitere schriftliche Erklärung, die aber nichts anderes hervorbrachte, als die Vernehmung, die er in Minden vor Captain Freud abgegeben hatte.

Mehr als ein Jahr nach seiner Verhaftung, im April 1947, fand der Prozeß gegen Harder und vier weitere Angeklagte in Hannover statt [8]. Harder hatte man bereits im April 1946 vorübergehend in das britische Verhörzentrum nach Minden gebracht (WCHC No. 1 [9]), wo militärische Funktionsträger vernommen wurden, ähnlich wie in Bad Nenndorf, wo die politischen Führer verhört worden sind. In Minden gab Harder am 12.4.1946 eine Eidesstattliche Erklärung ab. Der Tenor war bei Harder immer der gleiche - verantwortlich waren die anderen, aber nicht Harder. Schuldig waren seiner Meinung nach der Stützpunktleiter von Hannover - Hauptsturmführer Kurt Klebeck, der Kommandant von Neuengamme - Obersturmbannführer Max Pauly, oder die Herrschaften in Berlin. Keine Einsicht, keine Reue, nichts dergleichen. Die zahlreichen Morde die der Kapo Heinrich Wexler und der Rapportführer Wilhelm Dammann begangen haben, all das kann nicht in seinem Lager passiert sein, er müßte das dann doch mitgekommen haben. Aber der Supertyp Harder ist unschuldig im Sinne der Anklage. Leider nicht. Während seiner Untersuchungshaft in Minden schrieb Harder ein zehnseitiges Rechtfertigungsschreiben (siehe Fußnote 3), mit dem er das Gericht davon zu überzeugen versuchte, daß er kein Verbrechen begangen habe, sondern alles in seinen Möglichkeiten für die Häftlinge getan hätte. Am Endes des Briefes schreibt er: «Es trifft mich daher doppelt schwer, bei meiner großen Popularität im In- und Auslande, hier als Häftling zu sitzen und ich hoffe, das bald eine Wendung zum Guten für mich eintritt, damit ich meinen Anhängern und Freunden wieder als der Alte unter die Augen treten kann.» Das Gericht gelangte zu der Auffassung, daß Harder und seine vier Mitangeklagten schuldig seien. Harder erhielt 15 Jahre Haft; Klebeck 10 Jahre; Harden 1 Jahr; Dammann und Stefan Streit [10] (ein slowakischer Volksdeutscher; Mitglied der NSDAP und Waffen-SS) wurden zum Tode verurteilt und aufgehängt. Aber wie so oft erhielt Harder auch diesmal einen Bonus. Die Strafe wurde auf zehn Jahre reduziert. Der damalige oberste Rechtsberater der britischen Rheinarmee, Lord Russell of Liverpool, brachte es in seiner Empfehlung an den Oberbefehlshaber auf den Punkt: «Harder scheint nur deswegen einer Todesstrafe entkommen zu sein, weil er ein angesehener Sportsmann war ... und sich in den Augen der Häftlinge nicht jenseits von Fair Play bewegt hat.»

Der Kapo, der massenweise an Mißhandlungen und Morden im Lager Ahlem beteiligt war -Heinrich Wexler- wurde am 2.1.1976 vom Landgericht Hannover zu einer lebenslangen Haft verurteilt (das Revisionsverfahren beim BGH wurde abgewiesen und das Urteil vom LG ist mit Wirkung vom 19.10.1976 rechtskräftig [11]), Anfang der achtziger Jahre ist er verstorben [12].

In Ahlem haben furchtbare Zustände geherrscht, mit häufigen Gewaltexzessen auch von anderen Kapos, wie z.B. Hans Olschewski, ein Österreicher («Wiener Seppl»), der 1946 von einem britischen Militärgericht zu lebenslanger Haft verurteilt wurde. Oder Ferdinand Grosse, der in Ahlem Blockältester war («Lagerhenker») und für seine Verbrechen hingerichtet wurde. Und Ludwig Knorr, ein anderer Österreicher, der durch zahlreiche Lager ging (Dachau-Mauthausen-Herzogenbusch-Sachsenhausen) bis er nach Neuengamme kam und zu den brutalsten Kapos neben Wexler in Ahlem gehörte. Auch er wurde hingerichtet [13]. Diese Männer haben unter der wissentlichen Obacht des Lagerführers Otto Harder mißhandelt und gemordet.

Otto Fritz Harder wurde am 21.12.1951 aus der Strafanstalt in Werl vorzeitig entlassen. Mal wieder ein Bonus. Keine 4 ½ Jahre später ist er tot. Angeblich hat der Krebs ihn aufgefressen, oder sein Gewissen? Insgesamt war Harder 2372 Tage in Haft, einschließlich Internierungszeit, das entspricht 6 ½ Jahre.

Fußnoten
[1] Geboren am 25. November 1892 in Braunschweig [2] Partei-Mitglieds-Nr. 1345616; SS-Nr. 179446 [3] Der Begriff Waffen-SS wird erstmals im November 1939 offiziell in einem Dokument erwähnt. Erst im Laufe des Jahres 1940 hat sich diese neue Bezeichnung im Bewußtsein der Menschen etabliert. Harder hat, während er in Minden in U-Haft saß, in einem handgeschriebenen Brief, der in seinem späteren Verfahren 1947 als Beweismittel zugelassen wurde, auch selbst von einer Mobilmachung gesprochen, also der Übergang in den aktiven SS-Dienst. [4] Vgl. Hans Buchheim «Die SS in der Verfassung des Dritten Reiches» in: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte, 1955 Heft 2, S. 142, dort heißt es: «Zur Bewachung der Konzentrationslager wurden aus zum Teil nicht kriegsdienstfähigen Angehörigen der Allgemeinen SS die ‹Totenkopfwachsturmbanne› gebildet, die (im Gegensatz zu den Totenkopf-Standarten vor 1939) den jeweiligen KZ-Kommandanturen unmittelbar unterstellt waren.» [5] Fritz Peters: «Tull Harder stürmt für Deutschlands Fußballruhm», Falken-Verlag, Hamburg, 1942. Aus dem Buchtext geht auch hervor, daß Harder an diesem Druckwerk maßgeblich mitgewirkt hat. [6] Vgl. Curiohaus-Prozeß PRO/TNA WO 235-163 (16. Prozeßtag). Harder wurde unmittelbar im Anschluß der Vernehmung des Angeklagten Nr. 1 (Max Pauly) in den Zeugenstand gerufen. [7] Zur Geschichte der Internierungslager in der Britischen Zone, vgl. Heiner Wember, Umerziehung im Lager, Klartext, 1990. [8] Vgl. PRO/TNA WO 235-348 [9] War Criminals Holding Centre. Das WCHC Nr. 2 befand sich in der ehemaligen SS-Kaserne in Hamburg-Fischbek, wo es auch ein Lazarett gegeben hat. [10] S. wurde bereits am 9.3.1946 von einem faschistischen Bezirksgericht in Bratislava/Slowakei wegen seiner freiwilligen Zugehörigkeit zur Waffen-SS, zur NSDAP und seinem Dienst im KL Neuengamme freigesprochen. [11] Aktenzeichen LG Hannover 11 Ks 1/74; Aktenzeichen BGH 5 StR 371/76 [12] W. war schon im Juni 1946 festgenommen worden, konnte aber im Dezember 1946 aus einem Krankenhaus in Hornberg flüchten, weil man ihn unbewacht ins Krankenhaus gehen ließ, wo er wegen einer angeblichen Syphilis behandelt werden sollte. Fortan stand W. auf der Fahndungsliste der Alliierten, und konnte sich jahrzehntelang einer frühzeitigen Verantwortung entziehen. W. mordete nicht nur im KL, sondern war nebenbei ein notorischer Berufsverbrecher, der skrupellos jeden Vorteil für sich einnahm, und es verstand sich das Vertrauen von Menschen zu erschleichen um sie dann auszunehmen, wobei er vor Gewalt nicht zurückschreckte, und angeblich auch eine Frau vergewaltigt haben soll. [13] Vgl. PRO/TNA WO 235-129 (Olschewski); WO 235-151 (Knorr); WO 235-173 (Grosse)