Mittwoch, 25. Oktober 2017

Klinkerproduktion im KL Neuengamme

Die “Rampe” des neuen Klinkwerks
Die Treppe stammt aus der Nachkriegszeit

Die größte Arbeitsstelle des KL Neuengamme mit Zwangsarbeit war das neue Klinkerwerk, dass innerhalb kurzer Zeit von Häftlingen und zivilen Facharbeitern errichtet wurde. Es hat eine Grundfläche von 18593qm. Die Bauzeit erstreckte sich von 1941 bis 1943; mit der Klinkerproduktion wurde jedoch in der westlichen Betriebsstätte bereits im Sommer 1942 begonnen.

Bevor die Entscheidung getroffen wurde ein neues Klinkerwerk zu errichten, die das alte Werk am Hausdeich ersetzen sollte, wurden umfangreiche geologische Untersuchungen durchgeführt. Das Ergebnis war, dass es im Bereich des KLs hervorragende Vorkommnisse an Ton gegeben hat, die sich für das avisierte Nasspressverfahren ebenso ausgezeichnet verwenden lassen konnte.

Das Klinkerwerk Neuengamme wird in der historischen Geschichte als das größte und modernste Werk in Europa der damaligen Zeit dargestellt. Ein Rang dem es sich praktisch dadurch erworben hat, weil das Klinkerwerk in Oranienburg, dass zwar wesentlich monströser gewesen ist, aber sich wirtschaftlich zu einem Fiasko entwickelt hatte.

Eine von der Wissenschaft offiziell dargestellte Arbeit inwiefern Klinker im KL Neuengamme hergestellt wurden, gibt es nicht. Deshalb soll das Folgende jetzt ein Versuch sein die Klinkerproduktion vom Abziegeln bis zum Endprodukt zu vermitteln. Ebenso muß auch mit «fantasiehaften Mythen» aufgeräumt werden, die zu keinem Zeitpunkt stattgefunden haben bzw. die sich bis heute nicht beweisen lassen.

Der Abbau des Tons (im Volksmund; eigentlich Kleierde) erfolgte nicht ausschließlich in der Tongrube vor dem Klinkerwerk, sondern zuvor bereits z.B. im Bereich des späteren Kommandantenhauses oder der Lagergärtnerei, aber auch an anderen Stellen im Lager. Dass es das schlimmste Arbeitskommando gewesen ist, bedarf hier keiner genaueren Erläuterung. Der Abbau des Tons war kräftezehrend für die Häftlinge, und führte schnell zum körperlichen Verschleiß.

Drehweiche

Es gab ein spezielles Gleis-Kommando welches damit beschäftigt war, die Schienen dort zu verlegen, wo der Ton abgeziegelt wurde. Waren die Loren gefüllt, so mußten die Loren, die dann ein Gesamtgewicht von ungefähr einer Tonne hatten, in Richtung Rampe per Körperkraft geschoben werden. Zirka 60 Meter südlich von der Rampe entfernt, befand sich eine so genannte Drehweiche (heute immer noch sichtbar). Bis dahin mußte die Lore geschoben werden, danach übernahm eine kleine Lokomotive den weiteren Transport. Dazu wurden mehrere Loren aneinandergehakt und von der Lok zur Rampe geschoben, wo sie wieder enthakt und einzeln mittels eines Kettenaufzugs in das Klinkerwerk gezogen wurden. Das bedeutet aber auch, dass die Häftlinge gar nicht in die Nähe der Rampe gekommen sind, und die damit von Zeitzeugen erschaffene Dramaturgie, Häftlinge hätten die vollen Loren von Hand die Rampe raufschieben müssen, eine geschichts-verfremdende Suggestion  sind - ganz zu schweigen von der physischen Unmöglichkeit dieser Behauptung. Die Gedenkstätte hat sich, wie bekannt sein dürfte, von dieser verklärten Darstellung unlängst distanziert.

Jeder Flügel des Klinkerwerks war gewissermaßen eine selbständige Ziegelei: mit Lorenaufzug; Kastenbeschicker; Kollergang; Sumpfbecken; Pressenhaus; Trockenkammern und den Öfen. Angeblich soll im östlichen Flügel die Klinkerproduktion nie aufgenommen worden sein. Ein Foto zeigt aber, dass die Loren auf beiden Seiten der Rampe benutzt wurden. Das muss allerdings nicht bedeuten, dass der Ostflügel auch tatsächlich verwendet wurde.

Wenn die Lore den obigen Bereich des Mitteltrakts erreichte, wurde sie entleert und auf der gleichen Seite der Rampe wieder heruntergefahren. Man mag vielleicht glauben, dass die Lore einmal durch das mittlere Klinkerwerk bewegt wurde, und dann auf der anderen Seite wieder herunterkam, dem ist aber nicht so. Der Gleisverlauf ist im Stirngebäude noch deutlich zu sehen, und der Weg der Lore endet nach etwa 40 Metern an einem Prellbock.

Vorne das Loch wo der “Koller” eingelassen war
Eine Etage tiefer lagern heute explosive Propangasflaschen
und anderer Unrat

Die Entladung der Lore erfolgte in einem «Kastenbeschicker», in dem die erste Aufbereitung des Tons geschah. Dem Ton wurden weitere Substanzen zugefügt: vor allem Sand, manchmal auch noch Wasser, je nach dem, ob der Ton «fett» oder «mager» war. In Neuengamme war der Ton besonders fett und daher für das angewendete Nasspressverfahren hervorragend geeignet. In diesem Beschicker kam immer eine bestimmte Menge, die dann dem «Kollergang» zugeführt wurde. Der Koller war ein riesiger kesselartiger Behälter, in dem der Ton «durchgemengt» wurde, bis eine gewisse Konsistenz erreicht war und der Ton dann weitertransportiert werden konnte. Die großen Löcher, wo sich die Koller einst befanden, sind heute noch im Betonboden zu sehen.

Als nächster Schritt wurde der Ton über Transportbänder, die durch Öffnungen im Mauerwerk führten, in den Sumpf weitergeleitet. Dafür gab es eine Art Hängevorrichtung, die den Ton gleichermaßen im gesamten Sumpf verteilte. Diese zwei Becken (Fassungsvermögen je 1800cbm) dienten als Reservoir. Eine alte Ziegler-Weisheit besagt: Je schonender der Ton behandelt wird, desto besser wird der Klinker. Im Sumpf musste der Ton ruhen, feucht gehalten und umgeschichtet werden. Die Feuchtigkeit wurde durch mehrere Pumpen erreicht, die sich in einem Schacht zwischen den Kollern und Sumpf befanden.

Der ehemalige “Sumpf”
Seit Jahren wird dieser Ort für allerlei Gerümpel
von Hamburger Behörden und Institutionen missbraucht

Über weitere Transportbänder, die wiederum durch Öffnungen im Mauerwerk führten, kam der Ton dann in das Pressenhaus. Dort wurde der Ton in große Trichter geleitet und kam so in die «Schneckenpressen», die den Ton rotierend zusammenpressten. Durch das drehende Pressen wurde die Luft aus dem Ton gedrückt, und im weiteren Verlauf dieses Vorgangs entstand ein endloser rechteckiger Strang, der beim austreten aus dem Pressenmund, mittels eines automatischen Abtrenners, die gewünschten Klinkerformate fertigte. Von da an mussten dann die Häftlinge die Rohlinge entnehmen und auf große etagenartige Wagen stapeln. Diese «Absetzwagen» wurden bereits 1894 von Carl Keller erfunden und patentiert (Patentschrift Nr. 79301; Keller erfand auch die künstliche Trocknung durch heiße Dampfluft). Auf ihnen ließen sich auf je zehn Ablagen, zehn Rohlinge anordnen. Diese Wagen wurden manuell - nicht elektrisch - zu den Trockenkammern bewegt. In diesem Zusammenhang bleibt es schleierhaft wie man eine Behauptung aufstellen kann, dass diese Absetzwagen elektronisch bewegt werden konnten. Dafür gibt es keinen Beweis. Diese Wagen hätten mit einem kleinen Elektromotor ausgestattet sein müssen. Auf Fotos ist jedoch keiner zu erkennen. Diese Vermutung ist wahrscheinlich darin begründet, da oberhalb entlang den Trockenkammern sich Stromleitungen befunden haben, die jedoch einen anderen Zweck erfüllten.

Das ehemalige “Pressenhaus”
Hier wird der respektlose Umgang mit dieser Zwangarbeitsstätte
besonders deutlich; Gerümpel wohin man auch schaut
Die Betonkonstruktion in der Mitte stammt aus der Nachkriegszeit

Im Pressenhaus gab es wahrscheinlich zwei Maschinen, die die Rohlinge formten (der französische Häftling Robert Pinçon, der kurze Zeit an einer solchen Presse gearbeitet hat, erwähnt zwei solche Maschinen; es könnten aber auch vier gewesen sein). Die Trockenkammern konnten von beiden Seiten, also von Norden und von Süden aus, befüllt werden (oder von Norden befüllt und im Süden entleert). Wie diese Befüllungen genau vor sich gegangen sind, ist nicht dokumentiert. Die Gedenkstätte Neuengamme erklärt es so, dass auch die Befüllung automatisiert war. Diese «These» ist aber anzuzweifeln, da nichts darauf schließen lässt, dass die Absetzwagen mit den Rohlingen auch in die Kammern hinein bewegt werden konnten. Innerhalb der Kammern waren keine Gleise. Diese Absetzwagen hätten anderenfalls über eine Drehmechanik verfügen müssen, um die Absetzwagen zu und in die Kammern hineinzubefördern. Zu diesem Zeitpunkt gab es in der Ziegelindustrie schon seit längerem solche Absetzwagen, die in die Kammern einfahren konnten. Für Neuengamme lässt sich nicht rekonstruieren, wie das genau gemacht worden sein soll. Auch der Betriebsleiter Werner Kahn spricht in diesem Zusammenhang von einer Automatik, allerdings wenig konkret. Die einzige Möglichkeit die vorstellbar ist, vorausgesetzt der Absetzwagen war schwenkbar und konnte die Ablagen in Richtung Trockenkammer bewegen, um sie auf den ersten Absätzen mechanisch abzulegen, damit sie dann von Häftlingen weiter ins Innere der Kammer befördet werden konnten. Das dann aber als «Automation» zu bezeichnen ist absurd. Andererseits wäre eine manuelle Befüllung zeitraubend gewesen und damit nicht wirklich effizient. Arbeitskräfte gab es aber genug, und Zeit eigentlich auch, solange die Öfen Rohlinge brannten. Das Klinkerwerk war ein Schichtbetrieb, der 24 Stunden am Tag aufrecht erhalten werden musste. Und die Häftlinge wurden auch im Klinkerwerk untergebracht und versorgt, d.h. arbeiten, essen, schlafen; bis zum Schichtwechsel. Im Klinkerwerk wurden Hunderte von Häftlingen eingesetzt. Es wäre also ein Widerspruch zu behaupten das Werk wäre weitgehend automatisiert gewesen. Ab dem Zeitpunkt wo die Rohlinge die Pressen verlassen haben gab es nur noch manuelle Tätigkeiten, sowohl bei den Trockenkammern als auch bei der Be- und Entladung der Öfen.

Soweit die Arbeitsprozesse vom Tonabbau bis zum Rohling. Jetzt wird es mathematisch.
Leider gibt es keine Zahlen, die belegen, wie viele Rohlinge in einer Trockenkammer untergebracht werden konnten. Es gibt keine präzisen Werte zur Trocknungszeit.

Die Beschickung der Trockenkammern lässt sich aber einigermaßen berechnen. Vorteilhaft wäre es natürlich, wenn genauere Angaben vorliegen würden, wie z.B. der Abstand zwischen den Rohlingen oder wie hoch der Schwund war. Anhand einer Klinkergröße soll nun versucht werden, die Anzahl von Rohlingen zu ermitteln, die in einer Trockenkammer untergebracht werden konnten. Der größte Klinkerstein, der auch oft an Gebäuden im Lager Neuengamme zu finden ist, hat etwa eine Länge von 22cm, zuzüglich 3cm Schwund. Die Trockenkammern sind 22 Meter lang. Auf dieser Länge konnte man etwa 81 Rohlinge unterbringen, mit einer geschätzten Lücke von 2cm (selbst wenn der Abstand etwas größer gewesen sein sollte, hätte das nur geringen Einfluß auf die Gesamtkapazität von abzüglich etwa 30.000 Rohlingen). Für eine Kammer ergibt das eine Summe von 8.100 Rohlingen. Sowohl im West- wie auch im Ostflügel gab es 41 Trockenkammern. Insgesamt konnten pro Flügel ca. 332.100 Rohlinge deponiert werden. Dann aber heißt es, der Ostflügel wäre nicht in Betrieb genommen worden. Also belassen wir es zunächst bei 41 Trockenkammern.

Die nächste Frage, die auch nicht eindeutig beantwortet werden kann ist, wie lange hat die Trocknung gedauert? Eines muss immer im Vordergrund stehen: Es konnten nur so viele Rohlinge gebrannt werden, wie es die Trockenkammern hergaben. Bei einer Trocknungszeit von 7 Tagen, ließen sich praktisch 17,2 Millionen Klinker jährlich herstellen. War die Trocknungszeit aber länger, z.B. 10 Tage, so reduziert sich die Summe an Klinker schon auf runde 12,1 Millionen, und damit konnte die Produktionsleistung mit 41 Kammern nicht erreicht werden. Und das zeitliche Brennen der Klinker ist hierbei noch nicht mit eingeschlossen. Auf diese Weise könnte man munter weitermachen, bis man auf die Zahlen kommt, die z.B. im Jahresbericht für 1943 angegeben sind - allerdings wäre das Ergebnis nicht authentisch.

Die Wärme, die für die Trockenkammern benötigt wurde, kam aus dem Kesselhaus, das sich rechts von der Rampe befand, wo der große Schornstein ist. Dort wurde mit Kohle der heiße Dampf erzeugt, der zu den Trockenkammern geleitet wurde und so die Rohlinge bei zirka 100-110°C trocknete. Die Wärme kam von unten in die Trockenkammern hinein, und die Feuchtigkeit entwich durch zahlreiche Schlitze oberhalb der Trockenkammern.

Außerdem verfügte das Klinkerwerk über eine eigene Stromerzeugung. Links von der Rampe befand sich das Maschinenhaus. Dort befanden sich drei Schwungrad-Generatoren, die für die Energie des Werkes sorgten. Das Klinkerwerk war also auch in dieser wirtschaftlichen Hinsicht absolut unabhängig.

Nach der Trocknung mussten die Rohlinge manuell in die Öfen gebracht werden. Hier ist es noch schwieriger zu rekonstruieren, wie dies vor sich gegangen ist. Die in Neuengamme verwendeten «Zick-Zack-Öfen» sind zwar in der Methode ähnlich wie ein Ringofen, aber doch nicht gleich. Der erste Ringofen wurde 1859 nach dem Friedrich Hoffmannschen-Prinzip in Betrieb genommen. So ist es schwer zu verstehen, wie oder wo genau die Klinker in den Brennkammern gesetzt wurden. Ein Zick-Zack-Ofen ist in sich nicht geschlossen. Man könnte, wenn man einen solchen Ofen von Süden aus betritt, auf der anderen Seite im Norden wieder hinausgehen. So etwas geht bei einem Ringofen nicht. Dort sind die Brennkammern für sich geschlossen, d.h. eine Kammer wird links und rechts hinten mit den vorgetrockneten Rohlingen gefüllt, und dann wird der Zugang vermauert. Die Befeuerung wird entfacht und durch Schürschächte auf dem Ringofen wird das Feuer kontrolliert. Das Feuer - bei etwa 1200°C - wandert also einmal im Ring herum. Diese Prozedur dauert mehrere Wochen (je nach Größe des Ringofens). Dass man sich in Neuengamme für das Prinzip des Zick-Zack-Ofens entschlossen hatte, mag in wirtschaftlichen Belangen begründet gelegen haben. Diese Öfen hatten erheblich mehr Kapazitäten als ein Ringofen. Die Energie, die für die Befeuerung notwendig war, konnte mit diesen Öfen beträchtlich reduziert werden. Damit wiederum verbunden ist, dass auch die Brennzeit verhältnismäßig kurz gewesen sein muss - in diesem Zusammenhang wird daher auch von einem «Schnellbrennofen» gesprochen (durch Rauchgasventilation).

Der Zick-Zack-Ofen wurde von Jakob Bührer Ende des 19. Jahrhunderts erfunden und wurde bis nach dem Zweiten Weltkrieg verwendet, bis sich mehr und mehr die Wirtschaftlichkeit der Tunnelöfen durchsetzen konnte. Wenn also die Rede davon ist, dass der Ostflügel des Klinkerwerks nicht benutzt, bzw. nur partiell verwendet worden ist, so kann das damit zusammenhängen, dass nicht genügend Rohlinge geformt und getrocknet werden konnten, und somit die vorhandenen Fassungsvermögen der Öfen nicht ausgeschöpft werden konnten. Leider lässt sich aber eben nicht ermitteln, wie viele Rohlinge sich in einem solchen Ofen einsetzen ließen. De facto spielt das auch keine Rolle; maßgebend für das Produktionsvolumen waren die Trockenkammern. Es gibt ein Foto, aus dem sich grob hochrechnen lässt, wie viele Brennkammern es in den zwei größeren Zick-Zack-Öfen gegeben hat: zirka 50-60, wobei die zwei kleineren Öfen vermutlich einen anderen Zweck erfüllten, und nicht zwingend für die Klinkerherstellung bestimmt waren.

Der Vollständigkeit halber soll an dieser Stelle noch darauf hingewiesen werden, dass das Klinkerwerk Neuengamme hauptsächlich auf die technischen Pläne des Diplom-Ingenieurs Erduin Schondorff zurückzuführen sind. Schondorff war ein so genannter «Sonderführer» der Waffen-SS, im Rang eines Hauptsturmführers. Er gehörte zur gleichen Abteilung (W1) unter Karl Mummenthey im WVHA. Zwischen Schondorff und Werner Kahn hat es eine engere Verbindung gegeben, da Kahn während seines Studiums zum Ziegelei-Ingenieur gewissermaßen das «Zieh-Kind» von Schondorff gewesen ist, der seinen Schützling während des Aufbau des Klinkerwerks öfters in Neuengamme besucht haben soll, nicht zuletzt um sich auch von der technischen Umsetzung seiner konkreten Werksplanung zu überzeugen.

Aussagen des Betriebsleiters Werner Kahn besagen, dass die Zweckmäßigkeit der Klinkerherstellung überhaupt nicht gegeben war, sondern sekundär gewesen sei, auf Grund der großflächigen Vernichtung von Wohnraum in Hamburg im Sommer 1943. Weiterhin gab er an, dass ebenso wenig die monströsen Führerbauten begonnen worden sind; die ja auch erst nach dem Krieg errichtet werden sollten. Die Hauptproduktion lag bei der Betonherstellung. Das Klinkerwerk war wegweisend was die Herstellung der Notunterkünfte der Plattenbauten anging, die in Neuengamme erfunden worden sind (sagt Kahn). Wozu dann das neue Klinkerwerk in Neuengamme? Welchen Zweck kann es dann eigentlich noch gehabt haben? (Außer der Betonherstellung.) Kahn sagt auch, dass über den Wasserweg der Dove Elbe kaum Transporte von Klinker in die Hamburger Innenstadt stattgefunden haben, und es nur wenige Schuten gegeben habe, obwohl aus diesem Grund der Stichkanal überhaupt entstanden ist. Eine Luftaufnahme vom April 1945 zeigt allerdings zahlreiche Schuten im Hafenbecken des Klinkerwerks.

Das Verbleiben der Millionen von Klinker lässt sich nicht belegen, weil bislang keine Dokumente aufgefunden wurden, die darüber Zeugnis ablegen könnten. Es ist zweifelhaft, ob die Klinker, die Neuengamme verlassen haben, ausschließlich in der Hansestadt Hamburg verkauft worden sind. Genauso können die Klinker überall in Deutschland, oder sogar ins Ausland, verkauft worden sein. Vernachlässigen darf man dabei auch nicht die Tatsache, dass diverse Gebäude im KL Neuengamme mit Klinker aus dem neuen Ziegelwerk gebaut wurden, wie die Häftlings-Blöcke 1-4 und 21-24 (Steinhaus 1 und 2), die Hauptwache, die vier Wachtürme, das Waltherwerk, das Hammerwerk und einige kleinere Bauwerke - allein bei diesen Konstruktionen sind Unsummen von Klinker verbraucht worden.

Der Jahresbericht des Klinkerwerks für 1943 gibt Auskunft darüber, dass 17,2 Millionen Tonprodukte durch die Trockenkammern gefahren worden sind, davon waren rund 1,4 Millionen Bruch, das entspricht 7,9%. Die 17,2 Millionen sind wahrscheinlich nicht akkurat, weil diese Zahl auch die Dachziegel beinhaltet. Kahn aber sagt, dass es sich dabei um die von ihm erfundenen Betonziegel handelt (Frantişek Setina, ein tschechischer Häftling, 23 Jahre alt (1943), der für den technischen Bereich im Werk zuständig war, behauptet, er hätte diese Ziegel erfunden). Warum aber erscheinen die Dachziegel dann (immerhin mehr als 700.000 Stück) in dem eingefahrenen Bestand in die Trockenkammern? De facto wurden für 1943 rund 14,5 Millionen Klinker hergestellt.

Der Kohleverbrauch ist schwierig rekonstruierbar. Folgt man der Meinung von Kaienburg, so verschlang das Klinkerwerk 40 Tonnen Kohle pro Tag - das sind allein bei einem wöchentlichen Brennvorgang mehr als 8000 Tonnen im Jahr. Hinzu kommt dann noch das Kesselhaus, wobei der Kohleverbrauch aber in keinem Verhältnis zu den Brennöfen gestanden haben kann. Diese These erscheint sehr fragwürdig, auf Grund dieses hochmodernen Werks und der Leistung der Öfen. Daher ist es ebenso anzuzweifeln, dass die Klinkerproduktion wegen Kohlemangels 1945 eingestellt wurde - der wahre Grund dürfte ein anderer gewesen sein.

Ein paar Worte noch zum Umsatz: 1943 wurden rund 14,7 Millionen Tonprodukte verkauft, mit einem Gesamtwert von fast 1 Million Reichsmark. Zur Erinnerung: Das erste Darlehen der Stadt Hamburg für das KL Neuengamme belief sich ebenso auf eine Million RM (Verhältnis zur D-Mark etwa 1:7). Man hätte also bereits 1944 einen größeren Anteil des Kredits zurückzahlen können, was aber vermutlich bis Kriegsende nicht geschehen ist. Dazu vollkommen konträr ist die Behauptung, dass die DESt das Darlehen durch Klinker an die Stadt Hamburg zurückzahlen sollte. Das wurde zwar vertraglich so manifestiert, aber auch dafür gibt es keine Beweise. Da aber angeblich Millionen von Klinker produziert und verkauft worden sind, müssen diese Einnahmen irgendwo verbucht worden sein. Auf dem Reichsbankkonto des KLs Neuengamme befand sich beispielsweise im April 1945 ein Betrag von einer knappen Million Reichsmark. Diese Summe wurde auf einem Reichsbankscheck eingetragen, der aber nach Aussage des damaligen Kassenleiters des KL Neuengamme nie eingelöst worden ist.

Abschließend noch einige interessante Dinge zu dem Betriebsleiter Werner Kahn und dem Nürnberger Verfahren gegen Karl Mummenthey, dem so genannten Pohl-Prozess, gegen das Wirtschaftsverwaltungshauptamt in Berlin.

Kahn, 30 Jahre alt (1943), war gegenüber dem Amt W1 (Steine und Erde im Reich) verantwortlich. Die Lager-SS konnte ihm aber Weisungen zur Arbeitsleistung im Werk erteilen, und die SS war für die Häftlinge zuständig.

Es verwundert daher, dass Kahn in diesem Nürnberger Folgeprozess aussagen wollte. Er machte eine Aussage, die auch schriftlich niedergelegt wurde, sowie einige Fotos, die beweisen sollten, dass das Klinkerwerk Neuengamme nicht zum Zweck von Vernichtung durch Arbeit geschaffen wurde, sondern dass in seinem Werk moderate Bedingungen geherrscht haben. Das Gericht hat das zur Kenntnis genommen, als Zeuge wurde er jedoch nicht einberufen. Ebenso wenig wollten sie auch nicht den Häftling Frantişek Karel Setina, der zu dieser Zeit in Kirchwerder wohnte.

Ein ehemaliger Häftling (Kapo; grüner Winkel; 1943 36 Jahre alt) des Klinkerwerks Neuengamme, hat in dem zuvor erwähnten Prozess für Mummenthey ausgesagt, also für jenen SS-Offizier, der maßgeblich verantwortlich gewesen ist für die Zwangsarbeit in den Klinkerwerken und Steinbrüchen. Diesen Zeugen der Verteidigung kann man nur als grotesk bezeichnen; jeder andere Zeitzeuge wäre glaubhafter gewesen als ausgerechnet Helmut Bickel, oder der Werksleiter Kahn. Die Amerikaner hatten keinen Schimmer wen sie da im Zeugenstand vor sich hatten; sie wurden von einem skrupellosen (wenn auch intelligenten) Berufsverbrecher vorgeführt. Man muss sich daher fragen, wie glaubwürdig Kahn den Amerikanern vorgekommen ist. Dass sie ihn nicht als Zeuge haben wollten, deutet klar darauf hin, dass sie ihm keinen Glauben zu schenken vermochten. Denn wenn das Klinkerwerk so human gewesen ist, wie er es darlegen wollte, dann hat er offenbar das Elend, dass sich wenige Meter vor dem Klinkerwerk Tag für Tag abspielte, vollkommen aus seiner Wahrnehmung verdrängt. Kahn behauptet weiter, «… dass alle Leute, die bei uns gearbeitet haben, das gerne getan haben.» Damit entsteht der Anschein, dass Kahn sich reinwaschen wollte - in «seinem» Klinkerwerk war alles in Ordnung; in seiner Scheinwelt gab es keine Zwangsarbeit.

Zwei Häftlinge des Klinkerwerks, die für den technischen- bzw. kaufmännischen Bereich zuständig waren, schenkten Kahn zu dessen Geburtstag, im Oktober 1944, ein Album mit Fotos und Zeichnungen, die sie mit zynischen Bemerkungen apostrophierten, so als wäre das Klinkerwerk ein Erholungsheim gewesen. Sie taten das aber nur, um sich beim Werkleiter «einzuschleimen». Und das fruchtete später tatsächlich darin, dass Kahn die Entlassung des einen Häftlings aus dem KL Neuengamme befürwortete - dennoch konnte der Kommandant Pauly diese Entlassung verhindern, wie der ehemalige Häftling selbst, im erwähnten Pohl-Prozess, zu Protokoll gegeben hat.

Werner Kahn wollte nach eigener Aussage so lange im Klinkerwerk bleiben, er wohnte am Hausdeich beim alten Klinkerwerk (im neuen Klinkerwerk hatte er ein großzügiges Büro), bis die Engländer dort eintrafen. Trotzdem haben sie ihn kurze Zeit später verhaftet und interniert. Ein Spruchgerichtsverfahren war angeblich nachher nicht anhängig, da er kein Wehrmachtsangehöriger war. Das ist eine aberwitzige Begründung. Kahn war Mitglied der Waffen-SS, arbeitete in Neuengamme aber angeblich in Zivil. Und obwohl er dem Kommandanten zumindest disziplinarisch unterstellt war, konnte ihm die SS bzw. der Kommandant Weisungen erteilen (vgl. Befehl von Pohl v. 30.4.1942), nicht nur in Hinsicht auf das Klinkerwerk. Ob Kahn sich aber tatsächlich bei einem Zechgelage des Kommandanten so couragiert verhalten hat, wie er es in einer Befragung dargestellt hat, indem er Pauly die Stirn geboten haben will und ihn zurechtwies, dass er ihm keine Befehle zu erteilen habe, wirkt wenig glaubhaft und wird sich nicht beweisen lassen. Es könnte aber auch darauf hinweisen, dass Kahn mit einer solchen Darstellung, wovon es zahlreiche gibt, sein Ansehen als schneidiger Werksleiter des Klinkerwerks festigen wollte.

Es bedarf wohl keiner besonderen Erwähnung, dass Karl Mummenthey bereits 1953 wieder aus der Haft entlassen wurde, obwohl er Ende 1947 zu lebenslangem Gefängnis (auf 20 Jahre reduziert) verurteilt worden war.

In dem Interview, dass Kahn 1984 gegeben hat, wird leider kaum auf die Trockenkammern eingegangen, bzw. finden sich in der zusammenfassenden Niederschrift, die meiner Meinung nach etwas dilettantisch geraten ist, keine plausiblen Erklärungen zu bestimmten Vorgehensweisen der Trocken- und Brennkammern.

Und es stimmt übrigens nicht ganz, dass die Stadt Hamburg sich gegen die Bestrebungen der DESt in Neuengamme nicht gewehrt hätte. Als es 1939 darum ging eine Gewerbeberechtigung für das alte Klinkerwerk zu erteilen, lehnte das Hamburgische Verwaltungsgericht das ab, weil die baupolizeilichen Bestimmungen nicht eingehalten wurden. Man war zu der Auffassung gelangt, dass die im Klinkerwerk eingesetzten Häftlinge, im Falle eines Brands, nicht sicher dagegen untergebracht werden konnten. Es gab seinerzeit einen sehr heftigen Streit zwischen der DESt und der Stadt Hamburg, der nur durch massiven Druck der Reichsregierung bzw. dem Reichsführer SS, zu dessen Gunsten «entschieden» werden konnte.

Mein Fazit zur gesamten Produktionsleistung für 365 Tage lautet: Wenn das Jahr über alles rund im Klinkerwerk gelaufen wäre, dann hätte man theoretisch bei voller Leistung der Trockenkammern (7 Tage Trocknungszeit) etwa 34,5 Millionen Klinker per Jahr trocknen können. Diese Zahl hätte man wahrscheinlich auch brennen können (bei 4 Tagen Brennzeit). Aber wie bekannt ist, wurden diese Zahlen zu keinem Zeitpunkt erreicht. Und mehr Klinker, als zuvor erwähnt, hätte man für mein Dafürhalten nicht herstellen können, und das auch nur mit beiden Produktionsstätten des Klinkerwerks. Hermann Kaienburgs Vision von 60 Millionen Klinker jährlich, ist eine Illusion. Eine Steigerung der Jahresproduktion wäre aus werktechnischen Gründen nicht möglich gewesen.

Wenn aber tatsächlich für 1944 eine Summe von 22 Millionen Klinker fabriziert worden sind, dann kann das nur mit der gesamten Kapazität des Werkes bewerkstelligt worden sein.

Donnerstag, 19. Oktober 2017

Woche des Gedenkens in Bergedorf 2017


Die Woche des Gedenkens hat sich inzwischen in Bergedorf etabliert, und unterstreicht damit ihre Mitverantwortung in Aufklärung und Bewußtsein für das was eben auch in Bergedorf und Umgebung im Dritten Reich geschehen ist - in Bergedorf war gar nichts anders als sonstwo in Nazi-Deutschland.

Die Veranstaltungen im Programmheft zur Woche des Gedenkens sind durchweg fast kostenfrei. Denn leider fällt mal wieder einer aus dem Rahmen, und zwar Christian Römmer vom Kultur- und Geschichtskontor Bergedorf.

Seit dem Herr Römmer Geschäftsführer des Kontors geworden ist, zeichnete sich eine gewisse finanzielle Gier ab. Die Führungen durch Bergedorf, dem Friedhof etc. sind gebührenpflichtig  Schön und gut. Aber in einem unangemessenen Umfang (durchschnittlich 8 Euro; 16 Deutsche Mark), was die inhaltliche Mittelmäßigkeit seiner Führungen angeht.

Bei einer Woche des Gedenkens, wo alle Veranstalter auf finanzielle Einnahmen verzichten, sollte Herr Römmer vielleicht einmal in sich gehen, und nicht nur an seinen Profit denken, sondern es sich bewußt machen, dass die Woche des Gedenkens eine Mahnung der Geschichte ist, und wo kommerzielle Interessen fehlplatziert sind.

Respekt den Opfern gegenüber geht anders!