Donnerstag, 10. November 2016

Die Banalität des Seriösen - 4. Kapitel





 Für die Mitarbeiter der Gedenkstätte Neuengamme und ebenso für die Ehrenamtlichen (sofern sie Geländeführungen machen), gibt es didaktische Materialien, denn das Personal wird in Neuengamme nicht geschult. Jeder muss sich sein Wissen selbst erarbeiten. Es ist einleuchtend, dass dadurch massenweise falsche Informationen vermittelt werden, weil es sich bei den „Führern“ nicht um Historiker handelt und auch nicht um Pädagogen, obwohl einige sich selbst so bezeichnen.

Nach der Umgestaltung der Gedenkstätte Neuengamme 2005, kam jemand auf die glorreiche Idee eine Arbeitsmappe zu erstellen, die, wenn sie professionell erarbeitet worden wäre, sicherlich hilfreich hätte sein können. Diese veraltete Arbeitsmappe wird auch heute noch verwendet; inklusive aller, gelinde ausgedrückt, Unstimmigkeiten. Eine Überarbeitung hat bis heute nicht stattgefunden. Es wird also mit einem „antiquierten“ Wissensstand gearbeitet, und mit Verbreitung dieser Arbeitsmappe (z.B. für die Ehrenamtlichen), wird den Gedenkstättenbesuchern treuloses Wissen vermittelt!

Die Mappe beinhaltet auch zahlreiche Abbildungen verschiedener Art; Fotos, Zeichnungen, zeitgenössische Dokumente etc. Die thematischen Texte stammen von verschiedenen Autoren, die als „Experten“ bezeichnet werden. Des weiteren gibt es Hilfestellungen, in Form von Fragenstellungen, die sich durch Führungen mit Schulklassen ergeben haben (mit Stand bis 2005).

Wenn ein derartiges Hilfsmittel für die „Führer“ erstellt wird, dann muss es inhaltlich fehlerfrei sein. Und es darf auch keine Suggestionen oder Meinungen enthalten. Es sollte so gestaltet sein, dass Fragen aufgeworfen werden, die dann mit den Besuchern erörtert werden können. Das Problem ist jedoch, dass diese Mappe meistens gar nicht bei den Führungen mitgeführt wird. Es wird also versucht aus dem „Geist“ heraus Wissen zu vermitteln. Dafür bräuchte aber jeder „Führer“ ein fotografisches Gedächtnis. Das ist ein Grund, warum viel Blödsinn verbreitet wird.

Und diese Arbeitsmappe ist eben nicht frei von Fehlern. Darum soll es nun gehen.

Auffällig ist, dass die Texte teilweise sehr pleonastisch sind. So wird ein Zitat von dem SS-Arzt Alfred Trzebinski gleich dreimal wiederholt. Und auch andere Zitate oder Aussagen wiederholen sich häufig. Das zeugt von Desinteresse an der Thematik und einer gewissen Gleichgültigkeit diesem Arbeitsmaterial mehr Niveau und Nachdruck zu verleihen, schließlich sollen die Führungen ja nicht trostlos gestaltet werden, sondern unterhaltsam.

Natürlich werde ich hier nicht auf sämtlichen Murks in dieser Arbeitsmappe eingehen. Aber einige Beispiele müssen  vorgestellt werden, um zu verdeutlichen, wie unsensibel selbst Gedenkstätten-„Pädagogen“ arbeiten.

Unter dem Kapitel „Klinkerwerk - Rampe“ geht es dann auch gleich mit fehlendem Sachverstand los. Dort heißt es: „Im Kopfbau hinter der Rampe befanden sich Vorrichtungen zum Schreddern und Tauchbecken zum Wässern des über die Rampe ins Klinkerwerk gezogenen Tons.“
Das was hier als Tauchbecken bezeichnet wird, ist der sogenannte „Sumpf“. Er diente als Ton-Reservoir für die Klinkerproduktion. Wasser hat sich darin nie befunden. Die notwendige Befeuchtung des Tons wurde mit mehreren Wasserpumpen erreicht, die sich zwischen dem Sumpf und den Kollern befanden.

Unter dem Kapitel „Krankenrevier 4A“, wo die zwanzig jüdischen Kinder aus Auschwitz für Tuberkel-Experimente missbraucht wurden, wird unter der Überschrift „Täteraussagen (Britisches Militärtribunal Curiohaus)“ die oben bereits erwähnte Aussage von Trzebinski zitiert, mit dem Verweis auf eine schriftliche Aussage vom 24.03.1946. Trzebinski wurde aber erst ab dem 23. April 1946 vom Gericht befragt. Auch eine schriftliche Erklärung von Trzebinski gibt es nicht, da er als einziger Angeklagter eine schriftliche Aussage (Eides Statt) verweigerte. Erst nach seinem Schuldspruch holte er diese Aussage nach. Und selbst darin steht nicht ein Wort dieses vermeintlichen Zitates. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es dieses Dokument überhaupt gibt. Weder in der englischsprachigen noch der deutschen Mitschrift des Verfahrens gibt es diesen Wortlaut: „Ich kann mir keinen Vorwurf machen, daß ich den Kindern vor ihrer Hinrichtung eine barmherzige Morphiumspritze gemacht habe. Diese war im Gegenteil eine humane Tat, der ich mich nicht zu schämen brauche.“ Es handelt sich hierbei offenbar um eine willkürliche Darstellung, die so nicht protokolliert wurde.

Noch einmal gleiches Kapitel. Wieder Trzebinski. Es geht um die Ermordung der Kinder in der Schule am Bullenhuser Damm. Trzebinski erzählt am 24. April 1946 dem Gericht wovon er selbst Augenzeuge war. Der „Experte“ in der Mappe behauptet nun, dass der Arzt von der Ermordung des Jungen Georges Kohn erzählt. Trzebinski jedoch erwähnt im ganzen Prozess nicht einen Namen von den Kindern (die ihm wahrscheinlich auch gar nicht bekannt gewesen sind).

Unter dem Kapitel „Krematorium“ wird es dann richtig peinlich. Dort kann man nachlesen, „Die ersten Einäscherungen im KZ Neuengamme fanden im Herbst 1942 in einem provisorischen, mobilen Krematorium, das sich neben dem Schießstand befand, statt. Zuvor waren die Toten zur Einäscherung auf den Friedhof Ohlsdorf gebracht worden. Die Transporte führte ein Bergedorfer Beerdigungsunternehmer durch. Der Bau des massiven Krematoriums begann im Winter 1944.“

Der „Experte“ dieses Kapitels kann nicht als „Leuchte des Nordens“ bezeichnet werden. Vielleicht weiß er wie man einen Grundriss liest, aber von den Krematorien in Neuengamme hat er keine Ahnung. In der Tat soll es vorübergehend mobile Verbrennungsöfen gegeben haben. Der Bau des gemauerten Krematoriums begann bereits im Herbst 1941. Etwa Mitte 1942 war es fertiggestellt. Die absurde Behauptung, die Errichtung des Krematoriums ausschließlich auf das Jahr 1944 zu datieren, zeugt nicht nur von Unkenntnis, sondern widerspricht auch den historischen Ereignissen. Fritz Bringmann hat das Erlebnis der Vergasung von sowjetischen Kriegsgefangenen im Herbst 1942 zu seinem Thema gemacht, und mehrfach darüber ausführlich berichtet. Er sagt, die Toten wären im Krematorium verbrannt worden.

Wenn solche Lügen wirklich den Besuchern erzählt werden, dann sollte man die Gedenkstätte Neuengamme besser schließen, und die Verantwortlichen einer Psycho-Therapie unterziehen.

Zeitzeugenberichte sind immer kritisch zu beäugeln. Die Dramaturgie hat meistens mit der Realität wenig gemeinsam. So auch in dieser Arbeitsmappe. Das hängt damit zusammen, dass wenn ein ehemaliger KL-Häftling auch in anderen Lagern gewesen ist, er aus der Erinnerung heraus nicht mehr unterscheiden kann, welches Ereignis in welchem Lager stattgefunden hat und welche Personen daran beteiligt waren. Denn meistens wussten die Häftlinge die Namen ihrer Peiniger nicht. Dort wird ein ehemaliger osteuropäischer Häftling zitiert, der „Dub“ genannt wurde. Er erzählt: „Meine Kameraden luden den Anhänger aus, brachten Leichen in das Gebäude hinein … Dort war es warm. Im Haus gab es drei Öfen, vor jedem Ofen stand ein kleiner Transporter. Ein sehr kräftiger Mann von unbekannter Nationalität nahm oft von der Wand einen Haken, mit dem er die Leichen anhakte und in den Transporter legte, dann drückte er einen Knopf und die Leiche wurde in den Ofen geschoben.“

Dieser Häftling hat das Krematorium offensichtlich nie von innen gesehen. Ob zwei oder drei Öfen, gemessen an der Gefühlsintensität wenn Kameraden verbrannt werden, kann es dem Gedächtnis nicht entrinnen, dass es nur zwei Öfen in Neuengamme gegeben hat. Ebenso wenig wie einen Druckknopf, der dann etwas vollautomatisches in Gang gesetzt hätte. Der „Experte“ scheint zu naiv zu sein, um diese Unwahrheit überhaupt zu erkennen.

Noch einmal das Krematorium. Der ehemalige italienische Häftling Rinaldo Rinaldi, wird dazu ebenfalls zitiert (Übersetzung). „Wir wussten viele Dinge über die Krematoriumsöfen, da es Häftlinge aus unserem Schlafsaal waren, welche die Aufgabe hatten, die Leichen zu verbrennen. … Der Körper, den es zu verbrennen galt, wurde auf einem Handkarren liegend, mit dem Kopf nach vorne an die Klappe angenähert; dann wurde er mit einer Eisenschaufel, die mit einer Metallplatte in T-Form endete, in den Ofen geschoben. … In diesem Augenblick ging ein Leben mehr in Rauch über, aber für diejenigen, der am Ofen arbeitete, war es nur ein Körper mehr. Nach einigen Minuten öffnete der Menschenbäcker die Klappe und kehrte den Staub in einen Sack. Das war es, was von einem Leben über blieb: eine handvoll anonymer Asche.“

Allgemein bekannt wird es wahrscheinlich nicht sein, aber die Verbrennung einer Leiche dauert mindestens zwei Stunden.

Unter dem Kapitel „Kriegsgefangenen-Arbeitslager“ wird tatsächlich immer noch (2005; bis heute hat sich daran nichts verändert) der Unsinn erzählt, dass die sowjetischen Kriegsgefangenen im Oktober 1941 aus dem Stalag XD nach Neuengamme gekommen wären. Und in der Mappe fehlt natürlich ebenso der Hinweis auf den Russischen Ehrenfriedhof in Bergedorf.

In den Kapiteln zur Lager-SS zeigt sich mehrfach die fachliche Unkenntnis der selbsternannten „Experten“. Es werden Dienstränge genannt, die noch erst erfunden werden müssten. Oder was soll ein „Untersturmbannführer“ gewesen sein?

Bei Zeitzeugenberichten kann man etwas gnädiger sein, wenn SS-Leuten Dienstränge zuerkannt werden, die Fiktion sind. Anton Thumann wird zum Hauptsturmführer ernannt oder gar zum „Oberst“ erhoben. Wilhelm Dreimann zum Oberscharführer befördert.

Unter dem Kapitel „Hauptwache und Zaunrekonstruktion“ wird der Realitätsverlust der „Experten“ nochmals deutlich. Es heißt dort folgendermaßen: „Zwischen Winter 1942 und Frühjahr 1943 Errichtung der SS-Hauptwache. Diese bildete nach Fertigstellung zusammen mit zwei Fahnenmasten und einer ins SS-Lager führenden Pappelallee einen ansatzweise repräsentativen Eingang in das SS-Lager. Ab 1943 wurde der Zaun von hier aus mit Strom gespeist. Die Pappelallee wurde wahrscheinlich bereits 1940 angelegt und markierte die Zufahrt zum SS-Lager.

Weder im Lager noch außerhalb gab es irgendwelche Bäume; keine Pappeln weit und breit. Nur die Trauerweide an der Zufahrt zum Industriehof gab und gibt es heute noch.

Weiterhin heißt es „Die Hauptwache diente als Eingang ins SS-Lager und als Wachturm, enthielt Diensträume der Wachmannschaften, wahrscheinlich eine Waffenkammer sowie Arrestzellen für Wachleute.“ Diese Rhetorik ist erbärmlich.

Das ist eine ziemlich unpräzise Beschreibung. „Diente als Eingang“. Es gab nur diesen einen offiziellen Zugang zum SS-Lager. „wahrscheinlich eine Waffenkammer“. In militärischen Einrichtungen gab und gibt es niemals eine Waffenkammer im Wachlokal. Allenfalls einen Waffenschrank für die Pistolen der Wachhabenden und vor allem für die Munition. Die Waffen des Wachpersonals werden zum Dienst mitgebracht. „Arrestzellen für Wachleute“. In der Hauptwache gab es lediglich eine Arrestzelle, mit praktisch kaum Tageslicht. „Die Hauptwache diente … als Wachturm“. Wache ist Wache; und Wachturm ist Wachturm. Als die geziegelte Wache errichtet wurde gab es keinen Wachturm; keine Arrestzelle; beides wurde erst später dem Gebäude zugefügt.

Dann wird aus einem Brief von Max Pauly an Richard Hildebrandt zitiert, vom 30.12.1944. Pauly wird dort als Obersturmbannführer ausgewiesen. Hildebrandt (HSSPF Weichsel in Danzig; Disziplinarvorgesetzter von Pauly als dieser Kommandant des zivilen Internierungslagers in Stuffhof gewesen ist) und Pauly waren befreundet. 1944 war Pauly immer noch Sturmbannführer.

Unter dem Kapitel „Springbrunnen  und Ziermauer“ weiß der „Experte“ nicht einmal wo Westen ist. Der ganze Absatz zeugt von Unverständnis in der Sache, und ist weit entfernt von der Realität. „1940 wurde das Klinkermäuerchen an Nord- und Ostseite des SS-Lagers errichtet, um es optisch repräsentativer zu gestalten. Zwischen den Klinkerpfeilern wurden weiß gestrichene Holzlatten angebracht, an der Westseite des SS-Lagers ein kleiner Ziergarten mit Springbrunnen eingerichtet, der der Erholung der SS-Leute dienen sollte. Zusätzlich wurde ein Heilkräutergarten angepflanzt, der von Häftlingen gepflegt werden musste.“

Da es nur schwarz-weiß-Fotos gibt, ist die Behauptung „weiß gestrichene Holzlatten“ reine Fantasie. „Erholung der SS-Leute dienen sollte“ oder „zur Erholung der SS-Wachleute“. Dieser Ziergarten stand ausschließlich den SS-Offizieren zu; keinesfalls irgendwelchen Wachleuten. Auf den Gipfel getrieben wird das Ganze dann noch mit „Abstumpfung oder Brutalisierung der SS-Wachmannschaften durch den täglichen Umgang mit Leid. Aus diesem Grund war ihnen eine kurze Erholung im Ziergarten möglich, obwohl dieser sich in Sichtweite zum Schutzhaftlager befand.“ (Unterstreichung von mir)

Unter dem Kapitel „Trafohäuschen und Fenstergitter“ wird etwas thematisiert was nie richtig geklärt wurde. Neben den beiden Zapfsäulen befand sich ein kleines flaches Gebäude (heute immer noch vorhanden). An der nördlichen und östlichen Seite des Gebäudes sind Fenster mit Vergitterungen zu sehen. Dazu heißt es: „Die Fenstervergitterungen sind die einzigen Gebäudeteile im SS-Lager, die mit einem Hakenkreuzornament versehen sind.“

Anhand von historischen Fotos lässt sich belegen, dass diese Vergitterungen zwischen 1940 und 1945 entweder gar nicht vorhanden gewesen sind, bzw. es sich um andere Gitter gehandelt hat, wie man sie auch im Klinkerwerk und den SS-LKW-Garagen finden kann. Diese angeblichen „Hakenkreuze“, dessen „Haken“ verkehrt herum sind, wurden in der Nachkriegszeit durch die Gefängnisverwaltung angebracht. Von den Gedenkstätten-„Pädagogen“ werden sie jedoch gerne zur Verunglimpfung und Geschichtsverfälschung benutzt.

Unter dem Kapitel „Stichkanal und Dove Elbe“ wird eine traumhafte Behauptung aufgestellt, wo es heißt, die Dove Elbe hätte zwischen Stichkanal und Krapphofschleuse eine „durchschnittliche Breite von 25 Metern“.

Donnerwetter. Derartige Behauptungen aufzustellen ist eine Kleinigkeit. Sie nachgeprüft zu vermitteln ist viel schwieriger. Jedoch muss man kein Prophet sein, um zu erkennen, dass die Dove Elbe an keiner besagten Stelle derart breit ist.

Unter dem Kapitel „Tongruben“ wird eine verklärte Sichtweise betrieben, wo man an der geistigen Verfassung der „Experten“ zweifeln muss. In der Gedenkstättenarbeit gibt es leider einige Mitarbeiter die eine Haltung einnehmen, die mit Objektivität nicht mehr viel zu tun hat. Die selbsternannten „Anti-Faschisten“ und ihr bedeutungslos gewordener Kampf gegen alles was nicht ihren ideologischen Vorstellungen entspricht. Sie sehen nur mit ihrem Tunnelblick. Es geht dabei nicht um Rechts oder Links, sondern sie orientieren sich nur an dem was in Nazi-Deutschland (und Europa) an Leid Menschen widerfahren ist und projizieren das auf die Gegenwart. Dabei sind ihnen Deutsche vollkommen gleichgültig. Das wir in einem demokratischen Rechtsstaat leben ist diesen Leuten vollends entgangen. Sie sind derart verbissen in ihrem Geist, dass sie keine Gegenargumente zulassen wollen. Genau genommen sind diese Anti-Faschisten die wahren Faschisten.

Folgende Bemerkung ist dort also angegeben: „… daß dies nicht der Besuch eines KZ ist (auch nicht eines ehemaligen), sondern einer KZ-Gedenkstätte.“

Ersteres bedarf keines Kommentars. Natürlich handelt es sich bei dem Besuch der Gedenkstätte Neuengamme um ein ehemaliges Konzentrationslager. Wenn das nicht vermittelt wird, dann ist der ganze Aufwand zum Erhalt des Geländes mit seinen historischen Gebäuden, und vor allem seiner Geschichte über Unmenschlichkeit, nichts weiter als verfehlter Pragmatismus.

Unter dem Kapitel „Unterkunftsbaracken“ wird es dann wieder recht abenteuerlich, weil alles pauschalisiert wird. „Die Baracken wurden je in zwei Blocks aufgeteilt, die einzelnen Blocks durchnummeriert. Ein Block bestand aus je zwei Räumen. Dem kleineren Tagesraum, im dem Tische und Bänke sowie die Schlafplätze von Funktionshäftlingen waren, und dem größeren Schlafraum, in dem sich die Reihen der dreistöckigen mit Strohsäcken belegten Holzpritschen befanden. Weiter enthielt jeder Block nur zwei bis drei Öfen. Die Baracken waren ständig überfüllt. In der Anfangszeit waren nur primitive Waschmöglichkeiten vorhanden. Erst 1941 wurden ausreichende Wasserversorgung, Kanalisation und Kläranlage fertig gestellt. In diesem Jahr wurde auch der Bereich zwischen den Baracken mit Klinker- und Estrichboden befestigt und überbaut. Dort wurden dann für je zwei Blocks gemeinsame Waschräume und Latrinen eingerichtet.“ (Unterstreichungen von mir)

„Die Baracken wurden je in zwei Blocks aufgeteilt“. Das ist wieder Nonsens. In Neuengamme standen jeweils zwei Baracken hintereinander. Sie waren nicht miteinander verbunden. Das wurde erst später gemacht als die Latrinen zwischen die Baracken gesetzt wurden. Jede Baracke war ein Block. „… in dem sich die Reihen der dreistöckigen mit Strohsäcken belegten Holzpritschen befanden“. Das ist zu pauschal und widerspricht z.B. dem was Edgar Kupfer in seinem Buch „Die Mächtigen und die Hilflosen“ beschreibt. Denn als er 1941 nach Neuengamme kam, gab es überhaupt keine „Betten“; nur Strohmatratzen. Ob und ab wann es diese dreistöckigen Pritschen gegeben hat, ist nicht belegbar. „Die Baracken waren ständig überfüllt.“ Wieder nur pauschal. In dem Zeitraum 1940 bis 1942 kann davon nicht die Rede sein. Die Überfüllung der Häftlingsunterkünfte bezieht sich auf einen späteren Zeitraum.

Im gleichen Kapitel dann „Die damals noch vorhandenen Entwässerungsgräben zwischen den Baracken wurden bei Fertigstellung verfüllt.“ Der ehemalige Häftling Ewald Gondzik erzählt das anders und plausibler. Das erste was gemacht werden musste, damit man sich auf dem Gelände überhaupt bewegen konnte, war die Zuschüttung der Wassergräben.

Unter dem Kapitel „Gedenkbereich“ befindet sich der „Experte“ auf dem Holzweg. „Auch der Umstand, daß die in die Gedenktafel eingemeißelte falsche Ermordetenzahl (5500) am Vorabend der Mahnmalseinweihung durch das Überkleben mit der (damals angenommenen) richtigen Zahl (55000) korrigiert werden mußte, läßt Rückschlüsse auf die Mentalität hinsichtlich des Umgangs mit der Geschichte des KZ Neuengamme in der Nachkriegszeit bzw. in den 1960er Jahren zu“.

Befremdlich ist zunächst einmal, dass hier rigoros von Ermordeten gesprochen wird. Die wenigsten Häftlinge sind ermordet worden. Die Bedingungen im Lager, die Zwangsarbeit und manche Willkür, vor allem von Vorarbeitern und Kapos, haben zum Tode von Häftlingen geführt. Das ist im juristischen Sinn kein Mord, sondern Totschlag.

Die falschen Zahlen auf der Tafel mit den Orten wo Häftlinge zu Tode gekommen sind, war wie beschrieben fehlerhaft. Die Überklebung mit den „richtigen“ Zahlen fand nicht in den sechziger Jahren statt, sondern erst 1981, kurz bevor das Dokumentenhaus eingeweiht wurde. Bis dahin hatte man eine „0“ an die fehlerhafte „5500“ angefügt. Insofern ist der Kommentar auf die Mentalität mit dem Umgang der Geschichte des KLs Neuengamme in diesem Fall ad absurdum geführt.

Die Zahlen der Häftlinge insgesamt (inkl. Außenlager), und die Zahlen der Opfer (inkl. Außenlager) sind nach heutigem Stand nicht mehr aktuell. Es wird in beiden Fällen von weniger ausgegangen. Eine Korrektur darf aber nicht mehr vorgenommen werden, weil die gesamte Gedenkanlage unter Denkmalschutz steht.

Unter dem Kapitel „Haus des Gedenkens - Modelle“ befinden sich einige Ungereimtheiten. Das dort zu bewundernde alte Modell des Lagerkomplexes stammt visuell aus der Zeit als britisches Internierungslager 1947/48. Es wurde aber erst viel später in den fünfziger Jahren gebastelt. Und zwar von Häftlingen des 1949 errichteten Gefängnisses. Das ist insofern interessant, weil das Modell noch das Krematorium zeigt (die Eisenbahngleise hingegen fehlen). Dem entgegen wird behauptet, das Krematorium wäre noch zur Zeit des Internierungslagers abgerissen worden. Dem konnte eigentlich nie richtig glauben geschenkt werden, weil es als unvorstellbar erscheint, dass ausgerechnet die Briten das Krematorium haben abreißen lassen, wo es doch einen besonderen Status für die an Menschen begangenen Verbrechen dargestellt hat.

Und zum guten Schluss muss festgestellt werden, dass zahlreiche Bereiche schlichtweg nicht berücksichtigt werden. So lässt sich keine vernünftige Aufklärung betreiben.

Angora-Kaninchenaufzucht,
Begrenzungspfeiler beim Stichkanal,
DAW,
Effekten und Bekleidungskammer,
Eisenbahnanschluss,
Fertigungsstelle Metallwerk,
Geheimwerkstatt,
Hammerwerk,
Industriehof,
Jastram,
JVA-Fragment 2,
Krankenrevier I,
Lagerstrasse und Bunker auf der westlichen Seite,
Lagerzaun-Postenkette-Wachtürme,
Messap,
Modellierwerkstatt,
Schießstand der SS,
SS-Siedlung,
Zivilarbeiterlager

Ingesamt würde ich dieser Arbeitsmappe eine 4minus verpassen. Sie ist einfach zu lieblos zusammengekleistert; zu unvollständig, mit zu viel Polemik und überschätztem „Fachwissen“.

Diejenigen Menschen die ein aufrichtiges Interesse an der Geschichte des ehemaligen KLs Neuengamme haben, möchte ich mal einen gut gemeinten Ratschlag mitgeben. Bereiten Sie sich auf eine Führung gut vor. Überlegen Sie sich gezielte Fragen, möglichst keine Oberflächlichkeiten, sondern Fragen die substanziell sind. Nehmen Sie dann an einer oder besser mehreren Führungen teil (zwecks Vergleich), z.B. sonntags, dann gibt es immer wieder thematische Führungen, die von Mitarbeitern der Gedenkstätte durchgeführt werden. Achten Sie dabei genau auf das was Ihnen erzählt wird, und auf die Qualität der Antworten die Sie auf Ihre Fragen erhalten. Sind Sie unzufrieden mit einer Antwort, haken Sie solange nach bis dem „Führer“ der Schweiß auf der Stirn steht. Trauen Sie sich zu widersprechen, wenn Sie anderer Meinung sind, oder ihr Wissensstand akkurater ist. Sie werden dann wahrscheinlich Erfahrungen machen, wie ich sie immer wieder machen konnte, wenn ich an diesen Führungen teilgenommen habe. Das Fachwissen ist meist mangelhaft. Teilweise banal an den Haaren herbeigezogen. Für die „Führer“ ist es nur ein Job, wofür sie bezahlt werden, unabhängig davon ob sie sich ins Zeug legen oder den Besuchern nur Langweiliges zu erzählen haben. Es ist eine Erfahrung, die es einem sehr deutlich macht, dass bei einer sensiblen Thematik wie einem Konzentrationslager, die Mitarbeiter der Gedenkstätte Neuengamme keine Schulung erfahren, wie schrecklich diese Gedenkstättenpolitik tatsächlich ist.

Das muss ja nicht so sein. Wer in der Gedenkstättenarbeit tätig ist, von dem sollte man eigentlich erwarten, dass er oder sie dazu stehen, und es nicht nur als eine bezahlte Tätigkeit erachten. Und was die Güte der Führungen angeht, so wird es in Neuengamme niemals so sein wie beispielsweise bei der Gedenkstätte Sachsenhausen, wo Prof. Dr. Morsch auch selbst Führungen macht. Das ist eine gesunde Einstellung.

Es gibt manchmal, zu bestimmten Anlässen, „Führungen“  oder auch „Vorträge“ von der akademischen Seite. Ich habe in diesem Blog schon mehrfach darüber berichtet. Und es zeigt eben auch, dass sich die Führungskräfte nur dann bereit erklären sich von ihrem Schreibtisch zu erheben, wenn z.B. Bundeswehrangehörige oder Polizisten nach Neuengamme kommen. Also immer dann, wenn man sicherstellen will, dass den Besuchern wirkliches „know-how“ vermittelt wird. Den konventionellen „Führern“ traut man das dann offensichtlich nicht zu. Und selbst bei den Akademikern kann festgestellt werden, dass sie sich für das, was von ihnen erwartet wird (und wofür sie letztendlich bezahlt werden), kaum vorbereiten und zum Teil nur floskelartiges von sich geben. Das hat auch häufig viel mit „Klugscheißerei“ zu tun, wobei aber die eigentlich avisierte Thematik auf der Strecke bleibt.

Wünschenswert wäre es natürlich in der Sache, wenn die „Führer“ durch professionell gestaltete Referate geleitet würden. Das könnte hilfreich sein, bzw. es wäre angemessen in Bezug auf die sensible Gesamt-Thematik. Großschnäuzigkeit und Übermut haben in der Gedenkstättenarbeit keinen Platz. Diesem Ort und seinen Opfern mit Achtung und Verständnis im historischen Kontext zu begegnen, dafür ist vor allem ein gesunder Grat von Courage erforderlich, und selbstverständlich ist damit ebenso verbunden, das unabdingbare Wissen über die Wahrheit – und zwar nur die Wahrheit. Wenn das von den „Pädagogen“ nicht verstanden und vermittelt wird, dann werden sie mit ihrer Arbeit niemals irgend etwas bei den Besuchern erreichen können.