Dienstag, 23. August 2016

Die Banalität des Seriösen

Neben den allgemeinen wissenschaftlichen Arbeiten die von Historikern zum Thema Konzentrationslager publiziert werden, gibt es auch solche, die von einem anderen Blickwinkel aus betrachtet oder „analysiert“ werden - vom soziologischen Standpunkt.

Wolfgang Sofsky, der weder Historiker noch sonst ein Fachmann für die Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager ist, hat 1993 eine Publikation unter dem Titel „Die Ordnung des Terrors-Das Konzentrationslager“ herausgebracht. Einen nachhaltigen Eindruck hat dieses Buch nicht hinterlassen, denn es wird verhältnismäßig wenig darauf verwiesen bzw. zitiert.

Die Problematik die sich bei Sofsky ergibt ist, dass er keine eigenen Nachforschungen oder Untersuchungen angestellt hat, sondern seine Rückschlüsse orientieren sich ausschließlich an dem was andere bereits erarbeitet hatten. In diesem Kontext muß jedoch niemand Soziologe sein, um das System, die Gewaltherrschaft, der Konzentrationslager zu verstehen. Ich empfinde es daher als ziemlich anmaßend, wenn jemand Quellen von Dritten heranzieht um sich daraus zu profilieren.

Und damit liegt nämlich das nächste Problemchen schon parat. Wer Forschungsarbeiten von anderen für seine eigene Arbeit heranzieht, ohne sie jedoch zu verifizieren, oder noch schlimmer, ohne eigene Nachforschungen anzustellen, kann damit ziemlich auf die Schnauze fallen.

Die Aufgabe eines Historikers muß es sein eine adäquate Forschungsarbeit abzuliefern, dafür hat er schließlich studiert; dafür wird er bezahlt. Das faktische sollte dabei unantastbar sein. Ist es das nicht, geht die Seriosität verloren. Es versteht sich von selbst, dass die Glaubwürdigkeit des Autors darunter leiden kann.

Ich gehe davon aus, dass es wenigen Menschen auffallen wird, wenn faktische Unstimmigkeiten in der Fachliteratur vorhanden sind, diese überhaupt zu erkennen. Und selbst wenn sie erkannt werden, wird fein säuberlich das Tuch des Schweigens darüber gehüllt, schließlich soll ja keiner der geschätzten Kollegen kritisiert werden. Das jedoch ist unseriös und verstößt gegen den Kodex der Wahrheitsfindung in der Geschichtsforschung.

Beispiel 1.
1997 erschien eine Publikation deren Titel allein schon neugierig machte - „Eine Frau an seiner Seite“ von der Historikern Gudrun Schwarz, die damals am Institut für Sozialgeschichte in Hamburg tätig war.

Ihre Arbeit ist durchweg äußerst akribisch mit zahlreichen faktischen Details. Dennoch ist sie mehreren Unwahrheiten erlegen, die von ihr nicht gegengeprüft wurden, bzw. nicht wahrheitsgemäß von ihr dargestellt werden. Und damit liegt dann leider wieder der „Tatbestand“ des Unseriösen vor.

Frau Schwarz schreibt: „Auch die SS-Führer des Konzentrationslagers Neuengamme bei Hamburg lebten in einer Siedlung in unmittelbarer Nachbarschaft des Lagers. Im Mittelpunkt der Siedlung plätscherte ein Springbrunnen, daneben lag ein kleiner, parkähnlicher Garten mit weißen Holzliegestühlen und Bänken, wie man sie aus Kurorten kennt.“ Ihre Beschreibung ist zwar im Detail vollkommen korrekt, nur handelt es sich dabei eben nicht um die SS-Siedlung des KLs Neuengamme. Diese befand sich nämlich ganz woanders und kann auch nicht als Siedlung bezeichnet werden, wie es von anderen Lagern her bekannt ist.

Das was Frau Schwarz beschreibt befand sich direkt im SS-Lager bei den Unterkünften für die SS-Offiziere. Offensichtlich war die Grundlage dieser Annahme einige Fotos der SS, auf denen genau das zu sehen ist was Frau Schwarz in ihrem Buch beschrieben hat. Sie hat daraus einfach gefolgert, dass es sich hierbei um die SS-Siedlung handeln müsste. Derartige Mutmaßungen haben in der seriösen Forschung nichts verloren. Es muß ein eindeutiger Beweis dafür erbracht werden. Andernfalls muß es so geschildert werden, dass es selbst für Laien unmissverständlich ist.

Aufnahme von 1942
Aufnahme von 2011

Beispiel 2.
Frau Schwarz schreibt: „Kitt wurde von einem britischen Militärgericht wegen in Auschwitz begangener Taten zum Tode verurteilt und am 8. Oktober 1946 in Hameln hingerichtet.“ Bruno Kitt war der letzte Lagerarzt im KL Neuengamme. Seine Dienstzeit dort betrug nur wenige Wochen. Kitt war einer der vierzehn Angeklagten im ersten Neuengamme-Prozeß ab März 1946. Die Verhandlungssache in diesem Verfahren war nicht Auschwitz sondern Neuengamme. Der Staatsanwalt und auch Kitts Verteidiger thematisierten jedoch während der Verhandlung die Dienstzeit des Angeklagten in Auschwitz. Bei der Schuldigkeit und Urteilsfindung durfte das Gericht offiziell nur seine Tätigkeit in Neuengamme heranziehen. Dennoch wurde er von den britischen Richtern zum Tode verurteilt. Es erscheint hierbei klar und deutlich zu sein, dass die Richter die lange Dienstzeit von Kitt als Arzt in Auschwitz von 1942-45 nicht ignorieren wollten und sie daher gar nicht anders entscheiden konnten als ihn durch den Strang zu richten. Juristisch ist diese Entscheidung fragwürdig. Frau Schwarz hat die Fakten hier einfach nach ihrem Dafürhalten verdreht und in einen juristischen Zusammenhang gebracht, der so überhaupt nicht stattgefunden hat.

Beispiel 3.
Manchen Historikern kann man fast jede Geschichte auftischen, die sie blauäugig annehmen, ohne zu hinterfragen, ohne Beweise dafür einzufordern. Frau Schwarz ist einer solchen fabelhaften Geschichte auch aufm Leim gegangen.

Sie behauptet, dass es Zivilisten möglich gewesen wäre die Lagerstraße in Neuengamme mit Kind und Kegel entlang zu flanieren, weil es da so schöne Musik gibt und die Blumen so einladend wirken. Und das wäre von der SS auch noch genehmigt gewesen.

Beim Teutates! Das ist wirklich eines der übelsten Hirngespinste die es gibt.

Jedes Konzentrationslager war Sperrgebiet; ein Hochsicher-heitstrakt der für Zivilisten absolut tabu gewesen ist. Entsprechende Warnhinweise machten unmissverständlich klar, dass dieser Bereich nicht zugänglich ist und das andernfalls von der Schußwaffe gebrauch gemacht werden wird. Beide Seiten der Lagerstraße (Neuengammer Heerweg; heute Jean-Dolidier-Weg) in Neuengamme waren mit Wachposten und Schlagbaum gesichert. Nur mit Sondergenehmigung war es Zulieferern gestattet die Lagerstraße zu passieren.


Es dürfte allgemein bekannt sein, wie es in Berichten von Überlebenden, aber auch in offiziellen Dokumenten, immer wieder vorzufinden ist, dass am Sonntagnachmittag in den KLs nicht zwangsmäßig gearbeitet werden mußte. Ob das durchweg praktiziert wurde lassen wir mal dahingestellt, denn die permanente Arbeitsleistung der KL-Häftlinge, insbesondere ab 1942, war aufgrund des Kriegsverlaufs unerläßlich geworden. Eine Solidarität von seiten des WVHA erscheint dazu eher fragwürdig.

In der Nachkriegszeit haben Anwohner in und um Neuengamme diesen Umstand zum Anlass genommen und diese ungeheuerlichen Geschichten erfunden. Damit sollte suggeriert werden, dass die Konzentrationslager gar nicht so schlimm gewesen sind; die SS-Leute freundliche Menschen waren. Damit wurde versucht von der eigenen Verantwortung abzulenken. So war es den Anwohnern möglich zuzugeben, dass sie viele Dinge gewusst und toleriert haben, und da sie das Lager angeblich sogar von außen besichtigen konnten, wie hätte dann ein negativer Eindruck entstehen sollen? Alles erschien prima.

Dazu noch eine kleine Anekdote die mir in diesem Zusammenhang angemessen erscheint. Während meiner Mitarbeit in diesem dubiosen kirchlichen Arbeitskreis in Neuengamme, gab es dort eine schon recht betagte Kollegin, deren Vater ein SS-Mann gewesen ist, und worauf sie ziemlich stolz zu sein schien, denn immer dann wenn Besucher ins Plattenhaus kamen erzählte sie diese Geschichte mit leuchtenden Augen. Sie wollte mir also weiss machen, dass wenn Häftlinge über den Neuengammer Hausdeich Richtung Bahnhof marschierten oder umgekehrt, die SS alle Deichanwohner aufforderte ihre Fensterläden zu schließen. Diese Behauptung kam mir ziemlich suspekt vor, und ich fragte ob sie das tatsächlich glauben würde? „Natürlich tu ich das!“ antwortete sie mir daraufhin. Diese Naivität stützt sich, wie sie weiterhin ausführte, auf das was Edgar Kupfer („Die Mächtigen und die Hilflosen“) als ehemaliger sechsmonatiger Neuengamme-Häftling später berichtet haben soll. In seinem Erfahrungsbericht ist jedoch eine derartige Beschreibung nicht aufzufinden. Und im „Dorf Neuengamme“ gab und gibt es auch keine Häuser mit Fenster-läden. Für die norddeutsche Flachebene erscheint das auch ungewöhnlich.

Manchmal muß man wirklich an der Zurechnungsfähigkeit von Wissenschaftlern zweifeln, wenn sie das Verständnis für das System der NS-Konzentrationslager nicht aufbringen können oder wollen. Viele Geschichten von Überlebenden und anderen Zeitzeugen werden rigoros geglaubt, auch wenn sie noch so absurd sind. Lange Zeit selbst glaubte tatsächlich die Gedenkstätte Neuengamme, dass Häftlinge die eisernen Loren die Rampe am Klinkerwerk in Neuengamme mit Körperkraft hinaufschieben mußten, bis es jemanden bewusst geworden ist, das so etwas physikalisch vollkommen auszuschließen ist. Diese Absurdität wurde sogar auf einer Info-Tafel bei der Rampe verbreitet; die Tafel ist inzwischen ausgetauscht worden. Diese Einsicht in der Neuengammer Gedenkstättenarbeit ist allerdings eine Rarität.

Die hier vorgetragenen Beispiele beziehen sich nur auf Neuengamme. Sie sind aber gewissermaßen symptomatisch für viele andere Forschungsarbeiten zu verstehen. Ich gehe jedoch in dem hier vorgetragenen Beispiel davon aus, dass noch weitere Unstimmigkeiten vorhanden sind. Frau Schwarz ist in ihrer Arbeit streckenweise wenig objektiv und pauschalisiert immer wieder. Ihre unprofessionellen persönlichen Bewertungen schaden ihrer Arbeit mehr als das sie ihr nutzen.

Das was ich hier beschrieben habe ist ein ganz typisches Dilemma in der deutschen Geschichtsforschung. Es wird auf vorhandene Quellenlage vertraut. Meistens jedoch sehen Historiker keine Veranlassung diese Quellen zu hinterfragen. Das würde nämlich viel Zeit kosten. Am Ende leidet darunter die ganze Forschungsarbeit und das Ansehen des Autors.