Mittwoch, 23. März 2016

Das Krematorium des KL Neuengamme, der Bestattungsunternehmer und die Leichen der sowjetischen Kriegsgefangenen vom Herbst 1941

Bei diesem Versuch einer semi-wissenschaftlichen Rekonstruktion zu einem Kapitel des KL Neuengamme, welches einerseits schwierig ist, da die Quellenlage nicht besonders viel hergibt; und zum anderen es von der Gedenkstättenseite her keine Intention gibt, diesem Teil der Geschichte mehr Anerkennung zu verleihen, bzw. es wissenschaftlich aufzuarbeiten.

Eine Portion der hier verwendeten Unterlagen stammen von der Gedenkstätte Neuengamme. Inzwischen ist man jedoch nicht mehr bereit meine Arbeit zu unterstützen. Dieser Artikel stellt daher das Ergebnis meiner eigenen Nachforschungen dar und distanziert sich klar und deutlich von den gängigen Behauptungen, die von Historikern aufgestellt worden sind, ohne dass dafür entsprechende Beweise vorgelegt wurden.

Zur Erinnerung: Mitte Oktober 1941 kamen 1000 sowjetische Kriegsgefangene aus dem „Stalag XB Sandbostel“ nach Neuengamme. Das war eine großangelegte Aktion. Denn zu diesem Zeitpunkt wurden gleichfalls 2000 sowjetische Kriegsgefangene ins KL Buchenwald eingeliefert. Die Gefangenen waren gut acht Monate in Neuengamme. Gegen Ende Juni 1942 wurden die noch lebendigen Kriegsgefangenen ins KL Oranienburg (Sachsenhausen) gebracht. Manche von ihnen kamen auf Transport in andere Lager. Nur in Einzelfällen lässt sich ihr Weg des Todes nachzeichnen. In Neuengamme starben 651 plus ein weiterer Kriegsgefangener, der bereits auf dem Transport ins Lager einem Kreislaufkollaps erlegen war, an Krankheit, schwerer körperlicher Arbeit und vorsätzlichen Mord.

In meiner Ausführung geht es um die ersten 42 Leichen die zwischen Oktober und Dezember 1941 von einem Bergedorfer Bestattungsunternehmer aus dem KL Neuengamme abgeholt und nach Ohlsdorf gebracht worden sein sollen, und dort angeblich verbrannt wurden. Es gibt auch Quellen die behaupten, die Leichen der sowjetischen Kriegsgefangenen wären erdbestattet worden.

Von diesen 42 Leichen finden sich auf dem Ohlsdorfer Friedhof elf Namen, die übrigen Namen auf dem Bergedorfer Ehrenfriedhof. Ich spreche ganz bewusst „nur“ von Namen, weil es als äußerst fragwürdig erscheint, dass diese Leichen bestattet wurden, bzw. dass dieser „Ehrenfriedhof“ überhaupt zum Gedenken der Neuengammer Toten eingerichtet wurde. Dazu dann später mehr.

Die elf Namen von Ohlsdorf hätten, wenn sie bestattet worden wären, und das erscheint wenig plausibel, auf dem nächstgelegenen Friedhof bestattet werden müssen - also auf dem Bergedorfer Friedhof, da ihr Sterbeort gemäß dem „Totennachweis der russischen Kriegsgefangenen“ Neuengamme gewesen ist. Das ist nicht geschehen, ihre Namen befinden sie nach wie vor in Ohlsdorf und zwar an zweierlei Orten. Zehn von ihnen auf dem Gräberfeld der sowjetischen Kriegsgefangenen, und ein weiterer, dabei handelt es sich um den ersten offiziellen Toten des Kontingents, auf dem Gräberfeld der verschiedenen Nationen (BP74). Leider ist es so, dass selbst der Ohlsdorfer Friedhof keinen Schimmer davon hat, dass sich ein Kriegsgefangener aus Neuengamme dort befindet. In den Kriegsgräberlisten von Ohlsdorf ist normalerweise der Sterbeort angegeben, was in diesem einen Fall jedoch nicht zutrifft (kein Hinweis auf Neuengamme). Für die zehn von elf Kriegsgefangenen in Ohlsdorf gibt es nicht ein Indiz; weder für eine Erd- noch für eine Feuerbestattung.

Weshalb also wurden diese Leichen nach Ohlsdorf gebracht und nicht auf dem Bergedorfer Friedhof „beerdigt“? Oder wurden sie gar ganz woanders hingebracht? Und waren sie vielleicht noch am Leben?

Ein nicht unerhebliches Indiz ist, dass es für die ersten 12 verstorbenen sowjetischen Kriegsgefangenen keine Todesbescheinigungen („Amtsärztliche Bescheinigung“) des Standortarztes von Neuengamme gibt, also jene 11 Namen davon auf dem Ohlsdorfer Friedhof. In diesem Vordruck des Gesundheitsamts Hamburg wurden alle relevanten Daten des Todes festgehalten. So auch der Standardvermerk, „… hat sich ein Verdacht nicht ergeben, daß der Verstorbene eines nicht natürlichen Todes gestorben sei.“

2015 habe ich die These aufgestellt, dass es durchaus im Rahmen des Möglichen erscheint, dass Leichen von sowjetischen Kriegsgefangenen bzw. lebendigen Kriegsgefangenen zu medizinischen Zwecken an das „Reservelazarett V“ (Standortlazarett) in Wandsbek abgegeben worden sein könnten (in diesem Lazarett wurden ebenso sowjetische Kriegsgefangene wegen Fleckfieber behandelt). Und welche „Probanden“ waren dafür „ideologisch geeigneter„ als die armen Kriegsgefangenen? Zugleich besteht eine weitere Annahme, dass die Leichen auch in die Pathologie des UK Eppendorf gekommen sein könnten.

Mit dieser Annahme bin ich an Detlef Garbe herangetreten, und er fand diesen Gedanken so interessant, dass er renommierte Fachleute dazu herangezogen hat, ob sich meine Annahme vielleicht in irgendeiner Form beweisen lässt. Im Endergebnis kam nicht wirklich viel dabei heraus. Leider. Denn Dokumente des ehemaligen Reservelazarett V gibt es heute offenbar nicht mehr, und auch beim UKE ist die Dokumentenlage schwierig.

Dr. Garbe zog daraus den Schluss, dass meine These damit nicht bestätigt werden könnte. Das sehe ich allerdings etwas anders. Forschung besteht nicht darin ein paar Experten zu befragen und das war’s dann; sondern eine intensive, längerfristige Nachforschung anzuberaumen, sofern überhaupt der Wille dafür vorhanden ist. Es aber einfach so abzutun, als würde dieses Kapitel in der Neuengammer Gedenkstättenarbeit keinen Platz haben, ist den Opfern gegenüber würdelos.

Jedenfalls kam bei diesen Anfragen ein interessanter Hinweis von Prof. van den Bussch hervor. Nämlich dass sowjetische Kriegsgefangene aus dem „Stalag XD Wietzendorf“ in Hamburg für Forschungszwecke an Hungerödemen missbraucht wurden (genau genommen hatte das Götz Aly bereits vor mehr als dreißig Jahren thematisiert). Die Heeressanitätsinspektion beauftragte den Internisten Heinrich Berning mit der Erforschung an Hungerödemen mit der Kernfrage, ob Eiweiß- oder Vitaminmangel bei „normaler Ernährung“ zu derartigen Erkrankungen führen können. Sämtliche Kriegsgefangene aus dem KL Neuengamme vom Herbst 1941, kamen gemäß ihrer Erkennungsmarke aus dem Stalag XD, obwohl sie auf Grund mir vorliegender Beweismittel tatsächlich aus dem Stalag Sandbostel nach Neuengamme überstellt worden sind, wie fast alle kriegsgefangenen „Arbeitssklaven“ in Norddeutschland. Nun gab es in Hamburg eine größere Zahl von sowjetischen Kriegsgefangenen, die zur Zwangsarbeit gezwungen und sehr häufig in diesen Arbeitskommandos gestorben sind. Für 1941 gab es diese Situation aber nur eingeschränkt. Das zeigt sich z.B. eben auch auf dem Ohlsdorfer Friedhof. Auf dem Gräberfeld (AD38) der sowjetischen Kriegsgefangenen sind insgesamt 384 Namen zu finden. Davon aber nur wenige die 1941 verstorben sind. D.h. wenn also medizinische Versuche an mehreren Kriegsgefangenen aus Neuengamme stattgefunden haben, dann wurden sie im Anschluß nicht auf dem Ohlsdorfer Friedhof „bestattet“. Es liegt daher nahe, dass die Leichen im 1932 fertiggestellten Ohlsdorfer Krematorium feuerbestattet wurden. Dafür gibt es leider auch keine Beweise.

Der Bergedorfer Bestattungsunternehmer Hugo Ollrogge, der in einem schnuckeligen Haus (welches mein Großvater ihm in den 1930er Jahren verkauft hatte) in der Gärtnerstraße (Soltaustraße) seine Residenz hatte, holte die erste Leiche aus dem KL Neuengamme am 28.10.1941 ab. In diesem Monat wurden noch insgesamt drei weitere Leichen abgeholt. Zu diesem Zeitpunkt befand sich das lagereigene Krematorium im gerade begonnenen Bau, welches mit Öfen der Berliner Firma Heinrich Kori ausgestattet wurde (wie u.a. auch in Stutthof), und nicht von Topf & Söhne aus Erfurt.

Wie in allen anderen Konzentrationslagern auch führte die SS akribisch schriftliche Aufzeichnungen über ihre Häftlinge. Der Tod jedes Verstorbenen wurde peinlich genau dokumentiert, so auch die abgeholten Leichen. Der letzte (mit Datum) vom Bestatter Ollrogge abgeholte Kriegsgefangene wurde am 8. Dezember 1941 (handschriftliches Datum; regulär per Datumsstempel) verzeichnet. Jedoch sind noch weitere Kriegsgefangene verstorben und abgeholt worden. Es fehlt dafür im Originaldokument das Datum und auch die Quittierung des Abholers. Der letzte abgeholte Kriegsgefangene verstarb am 10.12.1941 und wurde entweder am gleichen Tag oder später abgeholt. Danach wurden aber weiterhin reguläre Leichen von „Schutzhäftlingen“ abtransportiert, und zwar bis zum 01.07.1942. Das könnte das deutlichste Indiz dafür sein, dass das Krematorium im KL Neuengamme Anfang Juli 1942 seinen „Betrieb“ aufgenommen hat.

Bezüglich der elf Namen von sowjetischen Kriegsgefangenen auf dem Ohlsdorfer Friedhof tendiert die Chance eher dahin, dass sie für medizinische Untersuchungen verwendet worden sind. Das wiederum könnte ihren Verbleib auf dem Ohlsdorfer Gräberfeld erklären.

Der auf dem neuen Bergedorfer Friedhof angelegte „Ehrenfriedhof“ für sowjetische Kriegsgefangene weist auf seinem ersten Gedenkstein nicht auf Neuengamme hin. Diese Assoziation wurde erst später vorgenommen, nachdem festgestellt wurde, dass viele sowjetische Kriegsgefangene im KL Neuengamme gestorben waren und angenommen wurde, dass diese Toten auf dem Bergedorfer Friedhof „bestattet“ worden wären, denn dieser Ort war seit Ende der 1940er Jahre bereits als Gedenkort eingerichtet worden, mit dem bereits erwähnten Gedenkstein.

In Realität ist es eher wahrscheinlicher, dass der Hügel mit dem Kreuz ein Massengrab symbolisiert, in dem sowjetische Zwangsarbeiter (Kriegsgefangene) aus Bergedorf verschart worden sind. Siehe hierzu meine Ausführungen an anderer Stelle in diesem Blog.

Meiner Meinung nach ist es widersinnig, dass Leichen abgeholt wurden und nach Ohlsdorf gebracht worden sein sollen, weil es im KL Neuengamme zu diesem Zeitpunkt angeblich keine Möglichkeit gegeben hat, die fast täglichen Leichen der Kriegsgefangenen zu beseitigen. Von den 42 Toten bleiben schließlich noch 31 übrig die, wenn sie nicht nach Ohlsdorf gebracht worden sein sollten, auf dem (noch nicht) vorhandenen nördlichen Bergedorfer Friedhof bestattet worden sein könnten. Auch hierfür gibt es keinerlei Beweise. Es gibt zwar in einigen Fällen einen Hinweis auf den Rückseiten der Totenscheine von Neuengamme. Dort wurde mit Schreibmaschine ein „Bestattungsschein“ ausgestellt, der an die Friedhofsverwaltung Bergedorf adressiert war, und das „umgehend“ eine Grabnachweiskarte nach Neuengamme übersendet werden sollte. Wenn das wirklich praktiziert wurde, stellt sich die Frage, wo diese Bestattungen vorgenommen worden sein sollen. Außerdem müssten die Namen der Bestatteten in den Gräberlisten vom Bergedorfer Friedhof verzeichnet sein. Bei der Friedhofsverwaltung gibt es zwei Beerdingsregister und eine Kriegsgräberliste, die alle einen identischen Inhalt zu den sowjetischen Kriegsgefangenen aufweisen und erst im Mai 1961 erstellt worden sind. Offensichtlich nach dem die Steine mit den Namen der Opfer in den fünfziger Jahren auf dem Ehrenfriedhof platziert wurden. Es existiert jedoch kein Beerdigungsregister aus der Zeit 1941-42. Mehrere Indizien weisen daher darauf hin, dass die Kriegsgefangenen aus Neuengamme, ebenso wenig wie ihre Kameraden in Ohlsdorf, zu keinem Zeitpunkt einer Erdbestattung zugeführt worden sein können. Es ist also nur eine Mutmaßung, dass sich an diesem Ort die Toten von Neuengamme befinden. Diese unseriöse Anmaßung wird auch von der Gedenkstätte Neuengamme weiterhin verbreitet. Die Erforschung zu diesem Kapitel wird, wie man mir zu verstehen gegeben hat, unbeirrt verweigert.

Bei der Erforschung von Hungerödemen durch Dr. Berning im Reservelazarett V, wurden an insgesamt 56 sowjetischen Kriegsgefangenen Versuche durchgeführt. Bei diesen medizinischen Experimenten starben unter Bernings Leitung 12 Kriegsgefangene. Das ist genau die Zahl, für die es keine Todesbescheinigungen gibt, und von denen wiederum 11 auf dem Ohlsdorfer Friedhof zu finden sind. Ist das nun ein Zufall?

Ein berechtigter Einwand wäre natürlich, dass mit lebendigen Kriegsgefangenen in Wandsbek experimentiert wurde. Jedoch gibt es keine Gewissheit dafür, dass sämtliche Tote, die im „Totennachweis der russischen Kriegsgefangenen“ verzeichnet sind, tatsächlich im KL Neuengamme verstarben. Sie könnten auch nachträglich, nachdem sie in Wandsbek verstorben waren, in diesem „Totennachweis“ vermerkt worden sein, weil ihr angestammter „Wohnsitz“ schließlich das Kriegsgefangenenlager in Neuengamme gewesen ist. Ein Rücktransport der Leichen ins KL Neuengamme erscheint hierbei als grotesk.