Sonntag, 18. Oktober 2015

Rekonstruktion strengstens verboten?

Gedenkstätten von ehemaligen Konzentrationslagern aus der NS-Zeit haben einen deutlichen Auftrag: Sie sollen dem interessierten Besucher u.a. vermitteln, um was für einen Ort es sich handelt, welche Bereiche es gegeben hat (Zwangsarbeit, Verwaltung, Schutzhaftlager etc); d.h. die architektonische Lagerstruktur und Lebensräume sollten klar erkennbar sein.

Das Ringen um eine „echte“ Gedenkstätte Neuengamme war äußerst zäh und geprägt von politischer Uneinsichtigkeit. Daher ist es nicht erstaunlich, dass der Hamburger Senat einen Beschluss verfasste, der besagt, dass in Neuengamme nicht rekonstruiert werden soll!

Rekonstruktion bedeutet, dass bestimmte Elemente, seien es Baracken, Zäune und dergleichen, in ihrer historischen Bedeutung wiederhergestellt werden; nicht um zu verdeutlichen wie so etwas ausgesehen hat, sondern wie es sich für den Besucher anfühlt.

Es ist also ein krasser Widerspruch, auf der einen Seite eine Neugestaltung der Gedenkstätte Neuengamme vorgenommen zu haben, unter dem Gesichtspunkt, dass die Hansestadt Hamburg in ihrer Nachkriegsgeschichte versucht hat, den Ort des ehemaligen KL Neuengamme für alle Zeiten verschwinden zu lassen, bzw. ihn abermals zu einem Ort der Schande deklassiert hat. Den Überlebenden selbst ist es zu verdanken, dass es heute ein uneingeschränkter Platz des Gedenkens geworden ist. Trotzdem sind bedeutsame Orte auf dem Gedenkstättengelände für immer verloren gegangen.

Nicht rekonstruieren zu wollen bedeutet daher nichts anderes, als darzulegen, dass das heute als harmlos erscheinende Gedenkstättengelände, mit seinen riesigen Grünflächen und Hunderten von Bäumen, die eher an einen Freizeitpark erinnern, für die damals massenhaft Inhaftierten nicht so schrecklich gewesen sein kann.


Auf der anderen Seite wird von vornherein eine authentische Darstellung des ehemaligen Lagers auf politischem Wege unterbunden. Was dabei ziemlich irritiert, ist die Feststellung, dass gleichwohl rekonstruiert wird. Zu diesem Befund kommt aber nicht nur der „Laie“, sondern auch die Fachleute. Denn einer der seinerzeit beteiligten Architekten bei der Umgestaltung der Gedenkstätte, hat unumwunden zugegeben, dass die vorgenommenen Rekonstruktionen einen Widerspruch zu der politisch gefällten Entscheidung darstellen.

Ein Bespiel: Bei der ehemaligen SS-Hauptwache, direkt neben den einzig überlebenden Wachturm, wurde ein sehr kleines Stück Lagerzaun nachgestellt. Ein paar spanische Reiter, etwas Stacheldraht. Diese Rekonstruktion ist leider unbefriedigend. Denn wie man auf historischen Fotos sehen kann, gab es vor dem Zaun noch etwa 1-1,5m Stachelstolperdraht (der sich ab ca. der Hälfte bei 45 Grad um ungefähr 50cm nach oben neigte), die den Häftling von vornherein davon abhalten sollte einen Fluchtversuch zu unternehmen. Des weiteren fehlen auch die Lampen, die in regelmäßigen Abständen am Zaun angebracht waren, und gibt es auch kein Hinweisschild, das darauf hinweist dass bei Fluchtversuch sofort und ohne Warnung scharf geschossen würde. Wenn man also den Weg einer Rekonstruktion sucht, dann sollte er auch den historischen Tatsachen entsprechen, hierzu mangelt es bei Verantwortlichen offenbar an Intelligenz. Da hilft es auch nicht, wenn es auf einer Schautafel erklärt wird, die sowieso vage formuliert wurde.

Wenn der Lagerzaun folglich eine so hohe Bedeutung hat, dass er rekonstruiert wurde, warum ist es dann in anderen Bereichen, die noch viel bedeutsamer sind, nicht möglich eine Rekonstruktion vorzunehmen? An den finanziellen Mitteln kann es nicht liegen, da die Gedenkstätte Neuengamme u.a. jedes Jahr vom Bund mit einer ¾ Million Euro bedacht wird.

Die Gedenkstätte Neuengamme sollte sich vielleicht den Begriff Rekonstruktion etwas genauer betrachten. Im Duden kann man dazu folgendes finden: … den ursprünglichen Zustand wiederherstellen oder nachbilden.

Die einzigen Rekonstruktionen in Neuengamme, die einigermaßen gelungen sind, ist der Appellplatz und die Steinhäuser (Hauptausstellung; Verwaltung-Archiv etc). Aber weder die Nachbildung der Tongrube oder das Eisenbahngleis kann als authentisch angesehen werden.

Wer bei der Gedenkstätte Sachsenhausen einmal eine Baracke betreten hat, der weiß was ich meine. Stickige Luft. Kein Mobiliar. Eine leere Baracke. Aber dennoch macht sich beim betreten augenblicklich ein mulmiges Gefühl breit. Darum muss es gehen. Der Besucher sollte das Gefühl eines Häftlings einigermaßen nachempfinden können. So etwas ist in Neuengamme nicht möglich. Man sieht die Gabionen und viele zerschredderte Steine. Das ist Symbolik, aber keine plastische Darstellung der Lebensräume der Häftlinge.

In Neuengamme gibt es eigenartiger Weise nicht ein historisches Gebäude welches für die Besucher zugänglich ist. Nicht das Klinkerwerk, nicht der Wachturm, nicht die Luftschutzbunker, nicht das Waltherwerk (teilweise schon), nicht das Kommandantenhaus. Lediglich die Ausstellungsgebäude sind logischer Weise begehbar. Das es auch anders geht, zeigen Gedenkstätten, die eine bewusstere Pragmatik verfolgen. In Neuengamme war es eben schon immer irgendwie anders.

Manche „Rekonstruktionen“, die aber schon vor dem Senatsbeschluss errichtet wurden, sind etwas eigenartig. Aus persönlicher Erfahrung kann ich sagen, dass es bei Führungen immer wieder Besucher gegeben hat, die sich diese seltsamen Metallkonstruktionen, die es zweimal auf dem Gelände gibt, nicht erklären können. Ein kleines Hinweisschild könnte hier Abhilfe schaffen. Für den vierten Wachturm, der das Schutzhaftlager desgleichen flankiert hat, gibt es weder ein Eisengestell, noch eine Gabione, und auch keinen Hinweis darauf.

Es sind aber nicht nur die gravierenden Lebensbereiche die dargestellt werden müssen, sondern auch Orte der Zwangsarbeit. Wie z.B. der Standort der ehemaligen DAW, der Deutschen Ausrüstungswerke. Wer diesen Ort im Südosten des Lagerareals aufsucht findet dort nichts, außer ein Stück brachliegendes Land, das im Sommer von unglaublichen Gewächsen überwuchert wird. Natürlich gibt es eine Schautafel, dessen Kommentar allerdings zu wünschen übrig lässt. Die Zwangsarbeit, die dort in den Baracken vollzogen wurde, muss viel bedeutungsvoller herausgestellt werden. Ich halte es für äußerst ratsam, diesem verwahrlosten Ort etwas mehr Gleichstellung zu anderen Zwangsarbeitsstellen einzuräumen.

In Neuengamme gab es auch eine so genannte Hundestaffel, die aus einigen Dutzend Vierbeinern bestand. Für die Häftlinge stellten sie immer wieder eine große Gefahr dar, vor allem wenn ein Häftling beim Appell fehlte, dann hat man nicht nur im Lager nach ihm gesucht, sondern auch außerhalb. Und auch die nächtlichen Patrouillen dürften von Hunden begleitet gewesen sein. Man weiß sehr genau wo diese Hunde untergebracht waren, aber einen Hinweis sucht der Besucher auf dem Gelände vergebens.

Ich könnte noch viele andere Beispiele anführen, die deutlich machen, dass die Gedenkstätte Neuengamme noch einiges nachzuholen hat, bis man greifbar davon reden kann, dass das Areal mit allen seinen Facetten würdig erschlossen worden ist und dem Besucher ein wirklich reelles Bild vom ehemaligen KL Neuengamme vermittelt wird.

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